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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Die Equipage hielt in einer der belebtesten Straßen vor einem palastähnlichen Gebäude. Die Damen stiegen aus, empfangen von einem livrierten Lakaien, und die Equipage fuhr in den Torweg ein. Ravenow hatte genug gesehen. Er bemerkte vis-à-vis des Hauses eine Restauration, wo er seine Erkundigung einzuziehen beschloß.
    Er ließ sich nach seiner Wohnung fahren, legte da seine Uniform ab und einen einfachen Zivilanzug an und suchte dann das Schanklokal auf, sicher, daß man ihn von dem gegenüberliegenden Haus nicht erkennen werde.
    Der Weinrausch war ihm schnell genug vergangen, so daß er es recht gut wagen konnte, einige Glas Bier zu trinken, um zu erfahren, was er gern wissen wollte. Leider aber befand sich der Wirt ganz allein in dem Lokal, und dieser schien ein mürrischer, verschlossener und wortkarger Mann zu sein, so daß Ravenow es vorzog, auf eine bessere Gelegenheit zu warten.
    Seine Geduld sollte auf eine nicht zu lange Probe gestellt werden, denn er sah einen Mann drüben aus dem Haus treten, der über die Straße herüber und in das Schanklokal kam. Er bestellte sich ein Glas Bier, nahm ein Zeitungsblatt, legte es aber bald wieder weg und blickte sich im Zimmer um, als suche er eine bessere Unterhaltung als diejenige, welche ihm die Zeitung bieten konnte.
    Diese Gelegenheit ergriff der Leutnant. Er vermutete aus der ganzen Haltung des Mannes, daß derselbe Soldat gewesen sei, und beschloß ihn als Kamerad zu behandeln. Er begann ein Gespräch mit ihm, und es dauerte nicht lange, so saßen die beiden beisammen und sprachen von Krieg und Frieden und allem, was auf der Bierbank Gesprächsthema zu sein pflegt.
    „Hören Sie“, meinte der Leutnant, „nach dem, wie Sie sich ausdrücken, scheinen Sie beim Militär gewesen zu sein.“
    „Das will ich meinen; ich war Unteroffizier“, lautete die Antwort.
    „Ah, ich bin auch Unteroffizier!“
    „Sie?“ fragte der andere, indem er die zarten Hände und die ganze Gestalt seines Gegenübers erst jetzt sorgfältig musterte. „Hm! Warum tragen Sie keine Uniform?“
    „Ich bin beurlaubt!“
    „So! Hm! Und was sind Sie denn sonst?“
    Man hörte dem Ton seiner Stimme an, daß er nicht so recht an den Unteroffizier glaubte. Ravenow trug zwar Zivil, aber der Offizier war ihm dennoch auf tausend Schritte anzusehen.
    „Kaufmann“, antwortete er. „Wie heißen Sie?“
    „Mein Name ist Ludewig, nämlich Ludewig Straubenberger dahier.“
    „Wohnen Sie in Berlin?“
    „Das versteht sich. Ich wohne da drüben im Palais des Herzogs von Olsunna.“
    „Ah, dieses Palais gehört einem Herzog?“
    „Ja, einem spanischen; er hat es erst vor kurzer Zeit gekauft.“
    „Hat er viel Dienerschaft?“
    „Hm, nicht sehr übermäßig.“
    „Heißt vielleicht einer seiner Beamten Sternau?“
    Ludewig, der alte Jägerbursche, wurde aufmerksam. Er war ein einfacher Naturmensch, aber mit dem Scharfsinn dieser Art von Leuten erriet er sofort, daß er ausgehorcht werden solle. Die vergangenen Ereignisse, welche mit dem Namen Sternau zusammenhingen, waren derart, daß man vorsichtig sein mußte. Dieser Mann, der sich für einen Unteroffizier ausgab, schien mehr zu sein, und da Ludewig bereits von dem Kutscher erfahren hatte, was im Tiergarten geschehen war, so nahm er sich vor, sich nicht überlisten zu lassen.
    „Sternau?“ sagte er. „Ja.“
    „Was ist der Mann?“
    „Kutscher.“
    „Alle Teufel, Kutscher. Hat er eine Frau und eine Tochter?“
    „Das versteht sich dahier.“
    „Sind es die beiden Frauen, welche vorhin im Tiergarten spazieren fuhren?“
    „Ja.“
    „Aber die sahen doch wahrhaftig nicht wie die Frau und die Tochter eines Kutschers aus.“
    „Warum nicht? Der Herzog bezahlt seine Leute so gut, daß ihre Weiber und Töchter schon Prassel machen können. Übrigens sind sie nicht, was man so nennt, spazieren gefahren dahier. Der Sternau sollte die neuen Trakehner einfahren, und da es egal ist, ob der Wagen leer geht oder nicht, so hat er eben seine beiden Weibsen mitgenommen.“
    „Donnerwetter! Ja, grob wie Fuhrmannsweiber waren Sie!“ entfuhr es dem Leutnant.
    „Ah, grob sind sie gewesen? Haben Sie das gehört dahier?“
    Bei dieser Frage blickte er den Leutnant mit einem unendlich pfiffigen Ausdruck in das Gesicht. Dieser sah ein, daß er eine große Unvorsichtigkeit begangen habe, und versuchte, einzulenken:
    „Ja, etwas habe ich gehört. Ich war im Tiergarten. Gerade vor mir hielt eine Kutsche, ein Offizier mußte aussteigen und wurde von den

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