45 - Waldröschen 04 - Verschollen
gewaltigen Eindruck diese Worte machten. Die Zuhörer standen einen Augenblick erstaunt, dann aber brach es los.
„Landola, der Kapitän der Péndola!“ rief Rosa.
„Kapitän Grandeprise, der Pirat?“ rief der Herzog. „Irrst du dich nicht?“
„Nein“, antwortete Amy. „Wer dieses Gesicht ein einziges Mal gesehen hat, der kann sich nicht irren.“
Kurt hatte nichts gesagt. Er war an das Fenster getreten und heftete seine Augen auf den Mann, wie der Adler das seinige auf seinen Raub richtet.
„Er beobachtet unser Haus“, meinte der Herzog.
„Er weiß, daß wir hier wohnen“, fügte Amy hinzu.
„Der Zerstörer unseres Glückes sinnt auf neue Schandtaten“, sagte Rosa.
„Er tritt in jene Restauration“, bemerkte jetzt Kurt. „Jedenfalls wird er sich nach uns erkundigen wollen. Ah, er soll bedient werden!“
Er war mit einigen raschen Schritten zur Tür hinaus.
„Kurt, halt! Bleibe hier!“ rief ihm der Herzog nach, doch vergeblich.
Die Anwesenden hörten, daß er nicht das Haus verließ, sondern die Treppe empor nach seinem Zimmer ging. Der Herzog folgte ihm nach und fand ihn im Begriff, in höchster Eile seine Uniform abzulegen.
„Was willst du tun?“ fragte er ihn.
„Ich will diesen Menschen überlisten“, antwortete der Gefragte.
„Du? Diesen gewandten Bösewicht? Wirst du das fertig bringen?“
„Ich hoffe es. Es ist heute nicht das erste Mal, daß ich ihn sehe.“
„Ah, du kennst ihn?“ fragte der Herzog erstaunt.
„Ja. Ich sah ihn bereits in Rheinswalden einmal. An dem Tag, an welchem ich mich vom Hauptmann von Rodenstein verabschiedete, ging ich in den Wald und sah diesen Mann aus der Hütte des Hüters Tombi kommen, ohne daß er mich bemerkte. Als er fort war, fragte ich Tombi, wer der Fremde sei, und der Zigeuner sagte, es sei ein Mainzer Bürger, der sich hier im Wald verirrt und ihn nach dem rechten Weg gefragt habe.“
„So hat er also bereits in Rheinswalden nach uns spioniert.“
„Ja, und Tombi ist sein Vertrauter, wie es scheint. Dieser Seeräuber hat mich noch nie gesehen, er kennt mich nicht; ich werde mich umkleiden und ihn aufsuchen. Aus seinen Fragen wird zu hören sein, was er beabsichtigt.“
„Du magst recht haben, mein Sohn, aber ich ersuche dich, recht vorsichtig zu sein. Wir werden unterdessen überlegen, was weiter zu machen ist.“
Der Herzog kehrte beruhigt zu den Damen zurück. Kurt aber legte seinen einfachsten, bescheidensten Zivilanzug an und begab sich dann über die Straße hinüber nach der Restauration. Als er dort eintrat, machte er ein sehr ernstes, enttäuschtes Gesicht, etwa wie ein Bittsteller, welchem sein Gesuch abgeschlagen worden ist.
Kapitän Parkert saß als der einzige Gast, gerade wie zuvor Leutnant Ravenow, an einem Tisch. Er hatte Kurt aus dem großherzoglichen Palais treten sehen und beschloß sogleich, sich an ihn zu wenden. Als Kurt an einem anderen Tisch Platz nehmen wollte, sagte er daher:
„Bitte, wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Es ist so einsam hier, und beim Glase pflegt man Gesellschaft vorzuziehen.“
„Ich habe ganz dieselbe Ansicht, mein Herr, und nehme also Ihr Anerbieten an“, antwortete Kurt.
„Sie tun recht“, nickte der Kapitän, indem er sein stechendes Auge mit forschendem Ausdruck auf den jungen Mann richtete. „Mir scheint, daß eine heitere Gesellschaft Ihnen dienlicher ist als die Einsamkeit.“
„Warum?“
„Weil ich bemerke, daß Sie in sehr mißmutiger Stimmung sind. Sie haben sich jedenfalls geärgert. Vermute ich richtig?“
„Hm, Sie mögen recht haben“, murrte Kurt, indem er ein Glas Bier bestellte. „Große Herren lassen es sich sehr egal sein, ob sie uns gute oder schlechte Laune bereiten.“
„Ah, so ist meine Ahnung richtig. Sie kamen da aus dem großen Haus? Sie haben sich da drüben geärgert. Vielleicht waren Sie Supplikant?“
„Möglich“, lautete die zurückhaltende Antwort.
„Wer wohnt denn eigentlich da drüben?“
„Es ist der Herzog von Olsunna.“
„Das ist doch ein spanischer Name!“
„Ja, er ist ein Spanier.“
„Reich?“
„Sehr!“
„Hat dieser Herzog eine Herzogin?“
„Das versteht sich!“
„Ah, jetzt besinne ich mich. Ich habe den Namen bereits einmal gehört. Ich glaube, der Herzog soll eine Mesalliance eingegangen sein?“
„Davon weiß ich nichts. So ein Herr nimmt sich doch jedenfalls eine Frau, welche seiner würdig ist.“
„So kennen Sie seine Verhältnisse nicht genau?“
„Glauben Sie, daß ein Herzog
Weitere Kostenlose Bücher