46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Sternau!“ rief auch Gerard. Er sprang herbei und fragte: „Monsieur, sind Sie wirklich Doktor Sternau, oder ist's ein Irrtum?“
„Sie hören, daß ich es bin.“
„O, ich danke Ihnen das Leben meiner Schwester und noch vieles mehr. Ich kann Ihnen dankbar sein. Ich kann Ihnen vieles, vieles erzählen.“
„Wovon?“
„Von Rodriganda, vom Grafen Alfonzo, von Rosa, Ihrer Frau Gemahlin und noch weiteres!“
„Gut; Sie werden mir das später erzählen. Jetzt hält mich die Señorita fest; ich muß ihr antworten.“
Resedilla hatte seine Hand ergriffen und nicht wieder losgelassen.
„Señor“, sagte sie. „Da Sie wieder erscheinen, da glaube ich auch, daß die anderen noch leben. Aber wo? Sagen Sie es mir um Gotteswillen recht schnell!“
Da zeigte er mit der Hand im Kreis umher und antwortete:
„Liebes Kind, hier sind sie, alle, alle. Es fehlt keine einzige Person.“
Da nahm Emma den Schleier in die Höhe. Sie war voller und üppiger geworden und nicht sehr gealtert. Resedilla erkannte sie auf der Stelle.
„Emma, meine Emma!“
„Meine Resedilla!“
Laut schluchzend fielen sie einander in die Arme. Es herrschte Kirchenstille im Zimmer. Niemand hätte ein Wort gefunden, um die Heiligkeit dieses Augenblickes zu entweihen. Sie hielten sich minutenlang umschlungen, bis endlich Emma halbleise fragte:
„O sage, lebt mein Vater noch?“
„Er lebt noch“, antwortete Resedilla.
Da ließ Emma die Arme von ihrer Freundin. Sie sank langsam zur Erde nieder, erhob wie betend die Hände und sagte unter strömenden Tränen:
„O du lieber Gott, wie danke ich dir, wie danke ich dir!“
Kein einziges Auge blieb trocken. Alle schluchzten; selbst Sternau weinte leise vor sich hin. ‚Geierschnabel‘ schluchzte wie ein Kind, obgleich die Personen ihm so fern standen. Niemand hätte diesem Yankee ein solches Gefühl zugetraut.
„Wir haben eben vorhin einen Brief von ihm erhalten“, bemerkte endlich Resedilla. „Du sollst ihn nachher lesen.“
Sie bog sich zu der Cousine nieder und hob sie von der Erde auf.
„Willst du nicht auch meinen Vater begrüßen?“ fragte sie.
Da blickten sich alle nach Pirnero um. Er war verschwunden, wenigstens zur Hälfte. Im Zimmer befand sich nur der untere Teil seines Körpers nebst den Beinen; der obere Teil hing auf die Gasse hinaus. Er hatte vor Rührung nicht gewußt wohin; er hatte weinen müssen und es doch nicht sehen lassen wollen. Darum war er an sein geliebtes Fenster getreten und hatte Kopf und Schultern hinausgesteckt, damit man sein Schluchzen nicht höre.
Als ihn die Tochter jetzt mit Gewalt wieder hereinzog, weinte er laut wie ein Kind. Er legte die Arme um Emma und sagte:
„Laßt mich hinaus, Ihr Leute, sonst ersticke ich vor Freude!“
Er drückte die Wiedergefundene an sich und eilte dann zur Tür hinaus.
„Aber Emma, nun zeige mir auch die Señores!“ bat seine Tochter.
Da trocknete die Angeredete ihre Tränen und fragte:
„Welchen willst du zuerst sehen, Resedilla?“
„Señor Helmers, deinen Bräutigam.“
Da lächelte Emma noch unter Tränen schelmisch und sagte:
„Suche ihn! Ich will einmal sehen, ob du ihn findest!“
Resedilla blickte die Herren forschend an, deutete auf Mariano und sagte:
„Dieser ist es.“
„Falsch geraten! Dieser Señor ist – o, ich will doch diesen Namen nennen – der Leutnant Herr von Lautreville.“
„Von Lautreville? Mariano?“ fragte da eine Stimme vom hinteren Tisch her.
‚Geierschnabel‘ war der Sprecher.
„Ja“, antwortete Mariano. „Kennen Sie meinen Namen?“
Da kam der Yankee eilig herbei und antwortete:
„Gut, sehr gut kenne ich ihn.“
„Woher?“
„Eine Dame, eine Engländerin hat ihn mir genannt.“
„Eine Engländerin?“ fragte Mariano rasch. „Wie heißt sie?“
„Amy Lindsay.“
Da faßte Mariano den Sprecher beim Arm, als ob er ihm denselben zerdrücken wolle, und rief, fast zitternd vor Aufregung:
„Nennen Sie diesen Namen noch einmal! Sofort! Schnell, schnell!“
„Amy Lindsay.“
„Das heißt, so war ihr Name früher gewesen?“
„Ich verstehe Sie nicht“, meinte der Yankee.
„Jetzt heißt sie anders?“
„Warum sollte sie anders heißen?“
„Weil eine Dame bei der Verheiratung den Namen zu wechseln pflegt.“
„Sie ist ja unverheiratet!“
„Mensch, Mann, was sagen Sie! Ist das wahr?“
„Ja.“
„Und Sie kennen sie?“
„Sie und ihren Vater, den Lord.“
Es hatte sich eine ungeheure Aufregung Marianos bemächtigt. Er hielt
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