46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Mädchen beachtete sein Erstaunen gar nicht. Sie folgte ihrem Vater nach oben. Pedro Arbellez war natürlich von dem Schießen erwacht. Er sprang aus dem Bett und brannte Licht an. Es ertönten mehrere Schüsse; es handelte sich also um ein ernstes Ereignis. Er warf sich, so schnell es ging, in seine Kleider, und wollte seine Stube verlassen, als Marie Hermoyes eintrat.
„O, Señor, was mag los sein?“ fragte sie beängstigt.
„Ich weiß nicht“, antwortete er.
„Das ist ja ein Kampf! Hört Ihr die Rufe?“
„Ein Kampf? Mit wem sollten die Franzosen kämpfen? Wer sollte die Hacienda überfallen? Es wird sich um ein Mißverständnis handeln.“
„O, dann wäre das Schießen bereits aus! Hört Ihr diesen Schrei? Mein Gott!“
„Santa Madonna, das war ein Todesschrei!“
„Jetzt wieder einer und noch einer!“
„Man kommt in das Haus! Hört Ihr die Stimmen, Marie?“
„Ja. Man kommt jetzt die Treppe empor. Wer mag es sein?“
Der Haziendero wollte öffnen, aber die Tür wurde bereits vorher geöffnet. Zwei Personen standen unter derselben, von einem Kienspan beleuchtet.
„Cortejo!“ rief Arbellez erschrocken.
„Josefa!“ rief Marie Hermoyes.
Sie hatte das Mädchen trotz der Verkleidung sofort erkannt.
Cortejo hatte eine gespannte Pistole in der Hand; seine Tochter ebenfalls. Hinter ihnen wurden die finsteren Gestalten seiner Mexikaner sichtbar.
„Ja, ich bin es“, sagte er, eintretend und die Tür hinter sich und Josefa verschließend.
„Mein Gott, was wollt Ihr?“ fragte Arbellez.
„Das werdet Ihr sogleich sehen. Setzen wir uns!“
„Ja, setzen wir uns!“ fügte Josefa hinzu, indem sie auf einem Stuhl Platz nahm und mit ihren runden, kalten Eulenaugen die beiden erschrockenen Leute triumphierend betrachtete. „Wer soll das Verhör führen, Vater?“
„Ah, du willst dir einen Spaß machen“, fragte er. „Gut, sprich du.“
Er lehnte sich in eine Hängematte und warf den brennenden Span zu Boden. Dieser war hier unnütz, da ja ein Licht brannte. Während er mit der Pistole spielte, ruhte sein Auge mit dem Ausdruck des Hohnes und des Hasses auf Arbellez und Marie.
Seine Tochter setzte den Hahn ihrer Pistole in Ruhe und sagte zu dem Haziendero:
„Ihr fragt, was wir hier wollen? Gericht halten wollen wir!“
„Gericht?“ fragte er. „Über was?“
„Über Euch und diese da.“
Bei diesen Worten zeigte sie auf Marie Hermoyes.
„Ihr scherzt, Señorita“, meinte Arbellez. „Wir haben Euch ja nichts getan, ich bin erstaunt, Euch hier zu sehen, Señor Cortejo. Wollt Ihr nicht die Güte haben, mir Euer Erscheinen auf meiner Hacienda zu erklären?“
„Diese Erklärung werde ich Euch an Stelle meines Vaters geben“, sagte Josefa. „Habt Ihr in jüngster Zeit von uns gehört?“
„Ja“, antwortete der Haziendero.
„Was?“
„Darf ich es sagen? Ich habe es nicht geglaubt.“
„Sagt es! Ich befehle es Euch!“
Der Alte trat einen Schritt zurück und sagte:
„Ihr sprecht vom Befehlen? Jedenfalls bin ich es, der hier zu befehlen hat!“
„Da irrt Ihr Euch sehr“, antwortete sie stolz. „Ich bin jetzt Herrin der Hacienda del Erina, um welche Ihr uns betrügen wolltet.“
„Wenn Ihr in diesem Ton sprecht, werde ich meine Vaqueros rufen!“
„Ruft sie!“ sagte sie höhnisch.
Arbellez trat wirklich an die Tür. Als er sie öffnete, blickten ihm die wilden Gesichter einiger Mexikaner entgegen, welche von Cortejo den Befehl erhalten hatten, sich hierher zu postieren. Er fuhr zurück und fragte:
„Wer ist das? Was wollen diese Leute?“
„Das ist meine Ehrengarde“, antwortete Josefa. „Ich will Euch sagen, daß wir mit dreihundert Mann die Hacienda überfallen haben. Die Franzosen sind getötet, und Ihr befindet Euch in meiner Hand.“
„Ich? In Eurer Hand? Ihr irrt Euch, Señorita. Ihr mögt die Franzosen überfallen und töten; ich aber bin ein freier Mexikaner, dem Ihr nichts anhaben könnt!“
„Ihr seid es, der sich irrt. Ihr seid kein freier Mexikaner, sondern unser Gefangener. Merkt Euch das! Beantwortet mir meine Frage von vorhin: Was ist es, was Ihr in jüngster Zeit von uns gehört habt?“
Pedro Arbellez konnte sich nur schwer in die Situation finden, sie war ihm fast unbegreiflich. Er sollte der Gefangene dieser beiden Leute sein? Früher hätte er sich zur Wehr gesetzt, jetzt aber war er alt, schwach und krank, es fehlte ihm die Energie der jüngeren Jahre; er sah die Waffen, welche sich in den Händen der beiden befanden, er hörte
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