46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Sein Leben wenigstens stand vermutlich nicht auf dem Spiel.
Das sagte er sich auch selbst, indem er jetzt der Stadt entgegenritt. Außer aller Gefahr befand er sich wohl keineswegs, aber er vertraute auf sich und sein gutes Glück.
Am Eingang zur ersten Straße, wo früher Posten gestanden hatten, befand sich heute keine Schildwache. Der Kommandant hatte geglaubt, diese Sicherheitsmaßregel unterlassen zu können. Er hatte ein zahlreiches Detachement gegen seine Feinde ausgeschickt und nahm aus diesem Grund an, daß die rückwärts liegende Stadt nichts zu befürchten habe. André konnte also unexaminiert und unbelästigt in die Stadt einreiten.
Er fand gleich in der zweiten Gasse, in welche er, um die Hauptadern des Verkehrs zu vermeiden, einbog, eine kleine Venta, deren breites Tor ihm gastlich entgegenblickte.
Er hielt es für klug, hier abzusteigen und sein Pferd in den Hof zu führen. Ritt er weiter in die Stadt hinein, so mußte seine Erscheinung mehr auffallen, als wenn er dieselbe später vorsichtig zu Fuß durchwanderte.
Er ritt vor das Tor und stieg ab. Indem er den Sattel verließ, bemerkte er ein hohes, breites Gebäude, welches der Venta gegenüberlag. Es hatte einen Balkon, auf dem sich soeben eine Dame befand, deren Gesicht gegen den Einfluß der Luft und Sonne leicht verschleiert war. Wäre es ihm möglich gewesen, durch diese Verhüllung zu blicken, so hätte er bemerken können, daß ihr Auge mit einer gewissen Spannung auf ihm ruhte.
Sie betrachtete ihn mit Aufmerksamkeit, und als er mit seinem Pferd unter dem Tor verschwunden war, trat sie in das Zimmer zurück und griff zur Klingel. Auf das mit derselben gegebene Zeichen trat die Zofe ein.
„Ich wünsche den Wirt der Venta zu sprechen, aber ohne Aufsehen.“
Auf diese Worte der Herrin entfernte sich die Zofe wieder, und bald sah man einen alten, grauköpfigen Mexikaner über die Straße hinüber nach der Venta gehen. Dieser Mann war der Hausmeister des erwähnten, großen Gebäudes. Er fand nach einigem Suchen den Wirt im Hof stehen.
Dieser bemerkte ihn und kam ihm entgegen.
„Ah, Señor, wen sucht Ihr?“ fragte er ihn.
„Euch“, antwortete der Alte.
„Mich? Womit kann ich Euch dienen?“
„Ich habe Euch zu bitten, zu unserer Señorita zu kommen.“
„So wird sie vielleicht Gesellschaft bei sich sehen und das Mahl bei mir bestellen wollen.“
„Nein. Ich habe Euch zu sagen, daß Sie Euch ohne Aufsehen sprechen will.“
„Das ist etwas anderes.“
Er trat näher an den Alten heran und fragte, diesesmal mit flüsternder Stimme:
„Sind etwa Nachrichten gekommen?“
„Von woher meint Ihr?“ versetzte der Alte ebenso leise.
„Von Juarez?“
„Ich habe nichts gehört.“
„Nun, dann werde vielleicht ich es erfahren. Sagt der Señorita, daß ich kommen werde, zuvor aber muß ich einen Gast bedienen, welcher soeben gekommen ist.“
„Ah, ein Fremder?“
„Ja. Viel Gescheites ist er nicht. Er ist sehr abgerissen und reitet ein heruntergekommenes Pferd.“
Der Hausmeister machte eine sehr nachdenkliche Miene und sagte:
„Urteilt nicht vorschnell, Señor! Ein Mexikaner wird allerdings nur höchst ungern ein häßliches Pferd reiten. Ist er vielleicht Mexikaner?“
„Nein.“
„Für was haltet Ihr ihn denn?“
„Für einen nördlichen Jäger.“
„Oh, so dürft ihr ihn nicht nach der Kleidung und dem Pferd beurteilen. Diese Leute haben oft sehr große Strapazen hinter sich. Übrigens ist es eigentümlich, daß ein Nordländer sich zu den Franzosen wagt. Nicht, Señor?“
„Hm!“
„Ich an Ihrer Stelle würde ihn ein wenig aushorchen.“
„Er würde mich ganz einfach ablaufen lassen. Man kennt diese nordischen Trapper.“
„Ein Versuch wäre doch zu machen. Also ich darf der Señorita sagen, daß Ihr bald kommen werdet?“
„Ja, sehr bald.“
Der Alte nickte und entfernte sich. Der Wirt aber trat in die Gaststube. Dort saß André ganz allein. Er hatte sich sofort hierher begeben, nachdem er sein Pferd draußen im Hof angebunden und ihm ein Bündel dort vorgefundener, getrockneter Maisblätter vorgeworfen hatte. Diese werden dort allgemein als Pferdefutter benutzt.
„Willkommen, Señor!“ grüßte der Wirt.
André warf einen raschen, forschenden Blick auf ihn und antwortete in gebrochenem Spanisch:
„Danke, Señor. Was habt Ihr zu trinken?“
„Alles, was Euer Herz begehrt.“
„Ah, das ist gut! Also
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