46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
gewähren.“
„Aber wann? Hoffentlich morgen schon?“
„Das wird nicht gehen. Man muß doch vorher zu Gericht sitzen und ein Urteil sprechen.“
„Nicht nötig, Herr Kamerad. Diese Bande verdient eine solche Rücksicht nicht.“
„Sie mögen recht haben. Und überdies lautet meine Vollmacht so, daß ich ganz nach Belieben handeln kann. Banditen schießt man nieder, wie sie vor das Gewehr kommen.“
„Also morgen?“
„Doch nicht. Man muß ihnen Zeit gönnen, sich auf den Himmel vorzubereiten. Hier in diesem Land ist man so bigott, so übermäßig schwarz und fromm, daß die Nachricht, die Leute seien in ihren Sünden gestorben, tausendmal schlimmer wirken würde, als die Kunde von der Hinrichtung selbst. Beichte und Absolution muß ihnen gewährt werden.“
„Nun gut. Dazu wird ein Tag genügen. Also übermorgen?“
„Ja, übermorgen, und zwar in aller Früh, womöglich noch vor Anbruch des Tages.“
„Sie meinen des Publikums wegen?“
„Ja. Diese Angelegenheit soll in aller Stille vor sich gehen. Kein Mensch darf vorher wissen, was geschehen soll. Nur der Beichtvater und die sonst nötigen Personen werden unterrichtet. Eine vollendete Tatsache, an der nichts mehr zu ändern ist, wird das Volk verblüffen. Man wird einsehen, daß jeder Widerstand zu spät kommt. Das ist es, was ich beabsichtige.“ – – –
Während die Franzosen von der Südseite her in die Stadt eingeritten waren, hatte sich von Norden her ein einzelner Reiter genähert. Er ritt ein keineswegs sehr schönes Pferd, hatte höchst unscheinbare Waffen an sich herumhängen und machte, alles in allem, nicht etwa den Eindruck eines gewaltigen Helden, obgleich man auf den ersten Augenblick erkennen mußte, daß er ein Jäger sei. Er war von sehr kleiner, hagerer Statur.
Er hatte nicht einen bestimmten Weg vor sich, sondern ritt langsam parallel mit den Grenzen der Stadt, und die forschenden Blicke, welche er derselben zuwarf, ließen erraten, daß es ihm darum zu tun war, Chihuahua kennenzulernen, ohne hineinzukommen.
Es war der ‚Kleine André‘, welcher von Juarez ausgesandt worden war, die Verhältnisse der Franzosen in der Stadt zu erkundschaften.
Er hielt sein Pferd an und richtete sein Auge auf die Türme der Hauptkirche und andere Gotteshäuser. Langsam mit dem Kopf schüttelnd, brummte er vor sich hin:
„Verdammte Geschichte! Treibe ich mich Tag für Tag in dieser Gegend umher, um zu erfahren, was der Präsident wissen will, und finde doch keinen Menschen, den ich ausfragen kann. Ich glaube, diese Franzosen haben sogar den Einwohnern verboten, aus der Stadt zu gehen. Das ist ja der reine Belagerungszustand.“
Er rückte eine Zeitlang ungeduldig im Sattel hin und her und fuhr dann fort:
„Ich muß gewärtig sein, Juarez kommt bereits heute angerückt. Was soll ich ihm sagen? Ich weiß nichts und bin schauderhaft blamiert. Aber hineinreiten? Hm!“
Er schüttelte bedenklich den Kopf.
„Das ist gefährlich. Wie nun, wenn die Messieurs mich wirklich für einen Spion hielten? Das könnte dem guten Andreas Straubenberger sehr schlecht bekommen.“
Da schüttelte sein Pferd, natürlich ganz zufälligerweise, den Kopf und wieherte.
„Nicht schlecht?“ fragte der Jäger. „Du bist anderer Ansicht? Hm! Vielleicht hast du recht. Wenn ich vor der Stadt bleibe, erfahre ich nichts, es bleibt mir also nichts übrig, als hineinzureiten. Übrigens“, fügte er mit einem gewissen Stolz hinzu, „bin ich der ‚Kleine André‘ und habe meine Waffen. Wir werden ja sehen!“
Er untersuchte seine Waffen sehr sorgfältig und lenkte den Kopf des Pferdes der Stadt entgegen. Der kleine Mann wagte es wirklich, den Feind geradezu aufzusuchen.
Streng genommen, war dieses Wagnis allerdings nicht so groß, wie vorher bei dem ‚Schwarzen Gerard‘. Dieser war den Franzosen als Feind bekannt, Bazaine hatte auf seinen Kopf sogar einen Preis von fünftausend Franken gesetzt. Ferner hatte er sich bei Nacht und Nebel heimlich einschleichen müssen. Wurde er ergriffen, so stand also nicht nur sein Leben auf dem Spiel, sondern sein Tod war fast eine Gewißheit. Daß er dennoch entkommen war, hatte er nur seinen großen Eigenschaften zu verdanken.
Anders aber lag es bei Andre. Kein Franzose hatte ihn jemals als Feind gesehen, höchstens konnte man seinen Namen als denjenigen eines nördlichen Jägers kennen. Nahm man ihn ja in den Verdacht, ein Spion des Präsidenten Juarez zu sein, so konnte man ihm doch nicht das mindeste beweisen.
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