46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Stößen zu traktieren!“
Dieser Vorfall und diese Worte des Gefangenen brachten eine ungeheure Bestürzung hervor. Die Franzosen sahen einen ihrer Kameraden beschimpft, und die Mexikaner hatten nun die Überzeugung, daß der kühne Mann verloren sei. Die Damen aber waren hingerissen von Bewunderung über diese Verwegenheit eines Mannes, der in Fesseln und mitten unter seinen Feinden in dieser Weise aufzutreten wagte.
Die Offiziere ließen grimmige Worte um Vergeltung hören; der Leutnant wollte sich auf Gerard stürzen, aber der Kommandant gebot Ruhe.
„Verschweigen wir diesen Akt der Roheit“, sagte er; „die Strafe wird nicht lange auf sich warten lassen; ich verspreche, daß er dafür blutig gepeitscht werden soll!“ Und sich an Gerard wendend, fragte er: „Ich gebot dir näher zu treten. Warum gehorchst du nicht?“
Der Gefragte blickte ihn finster und furchtlos an und antwortete:
„Ich bin kein Söldling in Ihren Diensten, sondern ein Savannenmann, dem Achtung gebührt. Man pflegt mich ‚Sie‘ zu nennen, und ich werde nicht eher eine Antwort geben, als bis Sie diese Höflichkeit befolgen.“
Der Kommandant lächelte überlegen und antwortete höhnisch:
„Ich pflege Menschen, welche Fußtritte austeilen, nur ‚du‘ zu nennen.“
„Das ist mir gleichgültig, Monsieur. Man hat die Gepflogenheiten desjenigen Landes zu befolgen, in welchem man sich befindet. Die anwesenden Señores und Señoritas werden mir zugeben, daß die Nation der Mexikaner eine höfliche und ritterliche ist. Ein tüchtiger Präriemann steht an Erfahrungen, Fertigkeit und Gewandtheit jedenfalls nicht tiefer, als ein Offizier; ich habe das bewiesen. Man hat mich bereits vorher mit dem Kolben bedroht, und jetzt geht man zu wirklichen Stößen über; es war meine Pflicht, Ihren Leutnant zu belehren, daß man sich in Gegenwart mexikanischer Damen besser zu benehmen hat.“
Die Blicke dieser Damen richteten sich voll Bewunderung auf den kühnen Sprecher. Die Offiziere aber ließen ein zorniges Gemurmel hören. Der Kommandant winkte ihnen Schweigen und sagte zu dem Gefangenen: „Ich könnte mit meinem ‚du‘ ruhig fortfahren und das Schweigen auf meine Fragen als Eingeständnis nehmen. Aber unsere Damen werden neugierig sein, Sie weitersprechen zu hören, und darum werde ich Ihnen das ‚Sie‘ geben, nach welchem Sie so sehnliches Verlangen tragen. Sie sind der ‚Schwarze Gerard‘?“
„Ja.“
„Was hatten Sie in der Stadt zu tun?“
„Einen Besuch.“
„Bei wem?“
„Das ist mein Geheimnis.“
„Zu welchem Zweck?“
„Zum Zweck der Verjagung unserer Feinde.“
„Ah! Wen verstehen Sie unter diesen Feinden?“
„Die Franzosen.“
„Man muß sagen, daß Sie sehr aufrichtig sind; fast möchte ich es frech nennen. Sie nennen die Franzosen Feinde und sind doch selbst ein Franzose.“
„Ich bin ein Franzose, aber doch kein Werkzeug des kaiserlichen Blutdurstes. Ich liebe Mexiko und seine Bewohner und wage gern mein Leben, um sie von der gegenwärtigen unrechtmäßigen Regierung zu befreien.“
Der Kommandant war ganz starr über diese Todesverachtung. Er sagte: „Ich teile Ihnen mit, daß ich Sie für verrückt halte. Sie werden zu dieser sogenannten Befreiung nichts mehr tun können, denn das, was Sie jetzt gesprochen haben, reicht vollständig hin, Ihr Urteil zu fällen. Sie werden diesen Saal nur verlassen, um sofort erschossen, vorher aber für den Fußtritt so ausgepeitscht zu werden, daß das Fleisch von den Knochen fliegt. Haben Sie etwas in Betreff Ihres letzten Willens zu sagen?“
„Jetzt nicht. Ich bitte überhaupt, es mir ganz allein zu überlassen, welcher Wille mein letzter sein soll. Ein Präriemann pflegt in dieser Beziehung etwas selbständig zu sein.“
„Sie sind wirklich wahnsinnig! Woher stammen Sie?“
„Aus Paris, woher ja so vieles Verrückte kommt.“
„Höhnen Sie nicht, sonst könnte das Urteil noch schwerer ausfallen! Haben Sie wirklich Verbindungen in dieser Stadt?“
„So viele, daß es Ihnen Angst würde, wenn Sie es wüßten.“
„Man sagt, daß Sie mit Juarez befreundet seien?“
„Sehr!“
„Kennen Sie seine Pläne?“
„Seine und die Ihrigen.“
„Schneiden Sie nicht auf! Was wollen Sie von unseren Plänen wissen!“
„Alles; die Folge wird es zeigen!“
„Ich bin es satt, Ihre Großsprechereien anzuhören. Darum zu etwas anderem. Jene Waffen sind die Ihrigen?“
„Ja.“
„Zeigen Sie her, Leutnant!“
Der Genannte legte das Verlangte vor dem
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