46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Mädchen erkannt hatte, keinen Blick wieder auf sie geworfen. Jetzt antwortete er: „Hat das, was eine Metze sagt, bei euch Gewicht?“
„Eine Metze?“ rief die Marketenderin. „Mensch, ich kratze dir die Augen aus!“
Sie wollte auf ihn eindringen, aber der Sergeant hielt sie davon ab.
„Halt!“ sagte er. „Wer dich beleidigt, der beleidigt auch uns. Er soll es büßen. Vor allen Dingen muß ich dem Kommandanten Meldung machen.“
Er wollte eben gehen, da erschien ein Leutnant unter der Tür. Gerard erkannte in ihm denjenigen, den er im Wald mit dem Kapitän belauscht hatte.
„Was ist das für ein Lärm? Was geht hier vor?“ fragte er.
Die Soldaten salutierten, und der Sergeant antwortete:
„Hier ist ein Gefangener, der sich in die Stadt und dann wieder heraus geschlichen hat.“
„Ah, der, welcher vor drei Stunden gemeldet wurde?“
„Zu Befehl!“
Der Leutnant faßte den Gefangenen scharf in das Auge und fragte:
„Wer ist er?“
„Er gibt sich für einen Vaquero aus Chiricote aus, die Marketenderin aber sagt, daß er ein Schmied aus Paris sei. Er hat sich sehr renitent gezeigt.“
„Auch noch renitent? Das verschlimmert die Lage. Wie heißt er?“
„Gerard.“
Der Offizier trat einen Schritt zurück und sagte:
„Gerard? Kerls, wißt ihr, wen ihr vielleicht gefangen habt?“
Und als aller Augen fragend auf ihn gerichtet waren, fuhr er fort:
„Dieser Mann ist vielleicht der ‚Schwarze Gerard‘, der uns so viel zu schaffen macht.“
„Der ‚Schwarze Gerard‘!“ rief es rundum im Kreis.
Der Offizier aber winkte Ruhe und fragte den Gefangenen:
„Habe ich recht vermutet? Habe ich es richtig getroffen? Antworte!“
Da regte sich ein Gefühl des Stolzes in Gerard. Sollte er eine Lüge sagen und seinen berühmten Namen verleugnen? Nein. Aber sollte er es eingestehen und damit seine Lage verschlimmern? Auch nein. Er wollte erst sehen, wie ihn der Kommandant empfangen werde; darum zuckte er die Achsel und antwortete:
„Untersuchen Sie es, Leutnant!“
„Man sagt ‚Herr‘ Leutnant. Verstanden?“ fuhr ihn der Offizier an. „Es ist übrigens ganz egal, ob du eingestehst oder nicht; denn ich werde sogleich wissen, woran ich bin. Man sagt, die berühmte Büchse des ‚Schwarzen Gerard‘ habe einen Kolben, der mit Gold ausgegossen und mit Blei überzogen sei, mit ihr teilt er seine stets tödlichen Hiebe aus, da der Kolben sehr schwer ist. Habt ihr ihm diese Waffe abgenommen?“
„Ja. Hier ist sie“, sagte der Sergeant.
„Nehmt ein Messer. Das Blei ist weich. Seht, ob Gold darunter steckt!“
Jetzt sah sich Gerard verraten. Das, was man sich von seiner Büchse erzählte, war die Wahrheit. Dieser Kolben diente ihm nicht nur als Waffe, sondern zugleich als Börse. Er hatte sich das Gold von jener Ader geholt und brauchte, wenn er eine plötzliche Ausgabe hatte, nur einen Schnitt in den Kolben zu tun, um bezahlen zu können. Dadurch war er bekannt geworden.
„Ah, Teufel, darum also war das Gewehr so schwer!“ sagte der Sergeant.
Er zog sein Messer hervor und schnitt an einer Stelle das Blei herab; sofort kam das schimmernde Gold zum Vorschein.
„Hier ist Gold, reines Gold!“ rief der Unteroffizier.
„So ist er es“, meinte der Leutnant frohlockend. „Ich selbst werde zum Kommandanten gehen, um ihm diese höchst wichtige Meldung zu machen.“
Er ging. Die Zurückbleibenden betrachteten den Gefangenen jetzt mit furchtsamer Scheu. Es herrschte vollständige Stille in dem Wachtlokal, diejenige Stille, welche ein bedeutender Charakter so leicht hervorzubringen pflegt.
Selbst die Marketenderin schwieg. Ihr einstiger Geliebter war ein berühmter und gefürchteter Waldläufer geworden, das beschäftigte ihre Gedanken so, daß sie das Reden vergaß, obgleich sie das Wort nicht vergaß, welches er ausgesprochen hatte.
Der Leutnant war mit raschen Schritten hinaufgegangen. Droben im Saal war eine große Anzahl Herren und Damen versammelt. Die Damen waren lauter Mexikanerinnen, die Herren aber Mexikaner und französische Offiziere.
Unter den Eingeborenen mochte es manches Herz geben, welches Juarez treuergeben war und die fremden Eindringlinge glühend haßte: aber diese Regungen mußten hier verborgen bleiben und durften sich durch keinen Blick verraten.
Gerade wie der Leutnant eintrat, war eine Pause in der allgemeinen Unterhaltung eingetreten; daher kam es, daß aller Augen sich auf ihn richteten.
Man sah es ihm ganz deutlich an, daß er irgendeine wichtige
Weitere Kostenlose Bücher