46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Unmöglichkeit ist.
Dieses reine, süße Bild stand vor seinem geschlossenen Auge; es nahm mit unwiderstehlicher Gewalt Platz in seinem Herzen; es dehnte sich aus, es gewann immer mehr an Dimension, und es war ihm, als ob sein Leib und seine Seele ganz und gar erfüllt sei von diesem Wesen, so daß kein Plätzchen, nicht der kleinste Punkt übrig bleibe für einen anderen Gedanken oder für ein anderes Fühlen. Und als der Schlummer leise über ihn kam, ging dieses Denken und Fühlen mit in seinen Traum hinüber. Er träumte, daß eine tiefe, traurige Nacht ihn umfangen habe; aber im Osten wurde es licht; die Nebel wichen mit der Finsternis, und strahlend wie die Sonne, von welcher Licht, Wärme und Leben ausgeht, erhob sich das Bild der Geliebten über dem bisher dunklen Horizont. Ein unendliches Entzücken erfaßte ihn, er breitete seine Arme aus, er sank anbetend nieder, und die himmlische Erscheinung schwebte mit mildem Lächeln auf ihn zu und sank an seine Brust. Diese Berührung durchzuckte ihn mit unbeschreiblicher Wonne und Seligkeit; es war ihm, als sei er nun gereinigt von allen Sünden und Fehlern seines früheren Lebens, als sei er gefeit und geschützt gegen alle zukünftigen Gefahren. Er fühlte sich im Himmel, mitten unter den Seligen, sein ganzes Wesen war ein Dank, ein Lob, ein einziges, großes Preisen und Jubilieren.
Während ihn dieser wonnevolle Traum umfing, saß Resedilla wieder unten bei ihrem Vater, welcher wie gewöhnlich das Wetter beobachtete.
Sie dachte an den Schläfer da oben, an seine Büchse und an die Entdeckung, welche sie mit Hilfe der letzteren gemacht hatte. Ihr Atem ging tief und langsam, ihr Busen schwoll unter einem Gefühl, von welchem sie sich keine Rechenschaft zu geben vermochte; sie wußte nur, daß es ein unendlich süßes und verlangendes sei. In dieses Denken und Sinnen erscholl die Stimme ihres Vaters. „Verdammtes Wetter!“
Sie schwieg; darum fuhr er nach einer kleinen Weile fort: „Hast du es gehört?“
„Ja“, antwortete sie.
„Was denn?“
„Schlechtes Wetter.“
„Gut! Habe ich etwa nicht recht?“
„Sehr, lieber Vater.“
„Na also! Draußen miserabel und hier in der Stube noch miserabler.“
„Wieso?“
„Wieso?“ fragte er unmutig. „Das willst du noch extra wissen? Nun hört alles auf! Was sieht man denn, wenn man da hinausblickt, he? Und was sieht man, wenn man im Zimmer umherschaut? Dich, dich, immer wieder nur dich, die Stühle und Bänke, die alten Gläser und Flaschen, sonst aber weiter nichts!“
„Ja, aber was willst du denn sonst noch hier sehen?“
Diese Frage war jedenfalls eine sehr unvorsichtige, sie war sehr unbedachtsam ausgesprochen, denn der Alte lauerte nur, wie er von neuem auf sein Lieblingsthema kommen könne; das sah sie zu spät ein, denn er antwortete sogleich:
„Was ich hier noch sehen will? Donnerwetter, was denn anderes als einen Schwiegersohn? Der fehlt mir, der allein. Siehst du das denn nicht ein?“
„Ist er dir denn gar so sehr notwendig?“ fragte sie lächelnd.
„Mir nicht, aber dir!“
„Mir?“ fragte sie, jetzt laut lachend.
„Ja, dir!“ antwortete er zornig.
„Mir? Ein Schwiegersohn? Da müßte ich doch eine Tochter haben!“
„Dummes Zeug! Willst du dich etwa über mich lustig machen, he? Sage mir einmal, ob du überhaupt weiß, wo ich geboren bin!“
„Ja.“
„Nun, wo denn?“
„In Sachsen.“
„Ich meine, in welcher Stadt!“
„In Pirna.“
„Gut. Nun gehe einmal hinüber nach Pirna und erkundige dich! Da drüben gibt es keinen einzigen Mann, der in meinem Alter nicht bereits zwei oder drei Schwiegersöhne hätte. Ich habe noch nicht einmal einen. Muß ich mich da nicht geradezu schämen? Das sieht ja aus, als ob ich ganz und gar aus der Pirnschen Art geschlagen wäre. Und ferner gibt es da drüben kein Mädchen deines Alters, die noch keinen Mann hätte, wenigstens einen Bräutigam oder einen Liebsten. Du wirst einsehen, daß du dich da noch viel mehr zu schämen hast, als ich selber.“
„Aber Vater!“
„Was aber Vater! Mache mich nicht bös! Da sitzt man, starrt hinaus in das armselige Wetter, oder herein auf die alten Bänke und Tische, und was hat man davon? Nichts, rein gar nichts! Wäre aber ein Schwiegersohn da, so könnte man sich mit ihm unterhalten, sich mit ihm Anekdoten erzählen, oder seine Wut an ihm auslassen, wenn man schlechte Laune hat!“
„Wenn er sich das gefallen läßt!“
„Warum nicht? Wozu ist ein Schwiegersohn da, als um
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