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46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

Titel: 46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Weise?“
    „O, Señor, er möchte wohl, aber er darf nicht.“
    „Und das soll ich glauben?“
    Da blickte sie ihm voll und offen in die Augen und antwortete:
    „Señor, seid nicht grausam, sondern glaubt es mir!“
    Er konnte diesem ehrlichen, wahrheitsvollen Blick nicht widerstehen, fragte aber doch: „Er umarmt Euch nicht, Señorita?“
    „Nein.“
    „Und küßt Euch nicht.“
    „Nur die Hand hat er mir geküßt.“
    Sie saß so demütig da vor ihm, beleuchtet von der kleinen Flamme. So wie das Lichtchen über sie dahinflackerte, war sie in dem dünnen Röckchen, welches alle ihre Formen wiedergab, und der offenen Jacke, unter welcher der volle Busen das Samtmieder fast zersprengte, sinnberückend schön. Dieser Eindruck war so mächtig, daß er in mildem Ton sagt:
    „Señorita, ich habe recht herzliches Mitleid mit Euch!“
    Sie schwieg, als ob sie von einer schweren Schuld bedrückt werde, und er sah, daß sie sich alle Mühe geben mußte, eine aufsteigende Tränenflut zurückzudrängen.
    „Ich sah in Mexiko, der Hauptstadt, ein Mädchen, dem Ihr außerordentlich ähnlich seid“, fuhr er fort. „Es war in der Kathedrale. Ich kniete dort und betete; da intonierte die Orgel leise; der Chor der Sänger hauchte leise Akkorde auf die Beter herab, und da plötzlich erklang eine herrliche, entzückende Altstimme laut und voll durch den weiten Raum, so rein und entzückend, daß sich aller Augen emporrichteten. Ich sah nur den Kopf der Sängerin, es war ein wunderbar schöner Kopf, er mußte einem Mädchen in Eurem Alter gehören. Ich sah nur ihn, und ich hörte nur die Altstimme, welche das Benedictus qui venit in einer Klangfarbe sang, wie ich sie so entzückend noch nie gehört habe. Ich erkundigte mich nach der Sängerin, und seit jenem Tag ist mir der herrliche Kopf und dieses Benedictus nie wieder aus dem Sinn gekommen.“
    Während er sprach, leuchteten seine Augen in heller Begeisterung, jetzt aber senkte er den Blick betrübt zur Erde. Er bemerkte nicht, daß auf ihrem Gesicht die Farbe wechselte, daß ihr Busen auf und niederstieg. Doch sie beherrschte sich und fragte mit gedämpfter Stimme, wie um den Klang derselben nicht zu verraten:
    „Ihr habt Euch also nach ihr erkundigt?“
    „Ja.“
    „Habt Ihr erfahren, wer sie war?“
    „Ja. Sie war eine reiche, hohe Grafentochter.“
    „Ah, und Ihr liebtet sie?“
    „Hoffnungslos. Ich habe sie nicht wieder gesehen. Ich erfuhr, daß sie Braut sei, Braut zugleich mit ihrer Schwester, und Mexiko verlassen habe.“
    „O, warum bliebt Ihr nicht! Vielleicht hat sie auch Euch bemerkt.“
    „Es war mir, als ob ihr Auge auf mir ruhte. Aber selbst wenn dies keine Täuschung gewesen wäre, was hätte es mir genützt? Ich kämpfte mit mir, ich glaubte, dieser Liebe Herr geworden zu sein. Da erblickte ich Euch in Chihuahua, Señorita, als Ihr mit Eurer Schwester Euch unserem Zug anschloßt, und da erwachte diese Liebe mächtiger wieder, als sie vorher gewesen war.“
    Ihr Blick leuchtete für einen Augenblick wonnig auf, doch drückte sie die Hand auf das Herz, wie um dasselbe zu beruhigen und fragte:
    „So sehe ich ihr also wirklich ein wenig ähnlich?“
    „Sehr, Señorita. Wenn ich Euch so vor mir sitzen sehe, so ist es mir, als ob ich vor Euch niederfallen solle, um Euch anzubeten, oder als ob ich Euch ans Herz drücken solle, als das Schönste, Reinste und Herrlichste, was es auf Erden gibt; aber dann – dann – dann – – –“
    „Dann? Was wolltet Ihr sagen, Señor?“
    „Dann muß ich mich fragen, was Ihr seid.“
    „Ein armes, verlassenes Mädchen!“ hauchte sie.
    „O, wollte Gott im Himmel, daß Ihr arm und verlassen wärt, aber Ihr seid auch noch mehr. O, mein Gott, das ist so traurig!“
    Er beschattete sein Auge mit der Hand und lehnte den Kopf an die Zeltwand. Sie sah das. Sein Weheruf drang ihr in die tiefste Seele. Sie glitt von der Rolle herab, so daß sie auf dem Boden kniete; sie erfaßte seine Hand, zog sie herab zu sich und bat mit bebender Stimme:
    „Señor, um Gottes Barmherzigkeit willen, seht mich an! Ich schwöre Euch bei allen Heiligen, bei Gott und meiner Seligkeit, daß ich nichts bin als nur arm und verlassen. Ihr irrt Euch. Ich bin ganz so rein, ganz so schuldlos wie die Sängerin des Benedictus. Glaubt es mir! Glaubt es mir!“
    „Und geht mit französischen Soldaten in die Welt hinaus?“
    Im Ton seiner Stimme lag ein förmlich niederschmetternder Vorwurf. Sie bebte zusammen; sie ergriff auch seine andere

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