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46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra

Titel: 46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Hand. Sie legte seine beiden Hände auf ihr stürmisch klopfendes Herz. Sie wollte sprechen; sie wollte bitten und flehen, aber sie konnte nicht, denn in diesem Augenblick wurde die Tür gewaltig aufgestoßen, und der Kapitän stand vor den beiden. Er überflog die Szene mit einem in diesem Moment unbeschreiblichen Blick und sagte:
    „Ah, Entschuldigung! Ich wollte wirklich nicht stören. Aber, Señor, habt Ihr vielleicht einen Augenblick Zeit?“
    „Gewiß“, antwortete Berthold schnell gefaßt.
    „So habt die Güte, Euch einmal in mein Zelt zu bemühen. Es ist etwas geschehen, so daß man sehr schnell Eurer bedarf.“
    „Was ist es?“
    „Es ist nichts für Damenohren. Übrigens wird es für die Señorita geraten sein, sich nach ihrem Zelt zu verfügen.“
    Pepi war beim Anblick dieses Mannes ganz erschrocken vom Teppich emporgefahren; sie stand da, wie mit Blut übergossen. Der Doktor reichte ihr die Hand und sagte in ungewöhnlich sanftem Ton:
    „Ja, es ist wahr, wir haben uns sehr verspätet. Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Señorita!“
    Damit folgte er dem Kapitän, während Pepi nach ihrem Zelt eilte.
    „Was ist geschehen?“ fragte Berthold unterwegs den Hauptmann.
    „Ihr werdet es gleich sehen. Kommt nur mit“, antwortete dieser.
    Bei seinem Zelt angekommen, öffnete er dieses und schob den Deutschen hinein.
    „Hier ist er; fest, Jungens!“
    Diesen Befehl des Kapitäns hörte Berthold noch, dann fühlte er sich von mehreren Händen gepackt; zwei Fäuste preßten ihm die Kehle zusammen, so daß er keinen Laut von sich geben konnte; er wurde gebunden, geknebelt und dann zu Boden geworfen, wo er vollständig hilflos liegen blieb. –
    Zilli, die jüngere Schwester, war in das Zelt Willmanns getreten. Es hatte ganz denselben Stoff und Bau wie dasjenige seines Freundes. Willmann stand wohl in dem gleichen Alter wie dieser, doch war er nicht schwarz, sondern blond. Sein blaues Auge schien einen harten, scharfen Glanz zu haben; wer ihn aber genau kannte, der wußte, daß er ein zartes, weiches Gemüt und ein tief fühlendes Herz besaß.
    „Guten Abend, Señor!“ grüßte sie leise und verlegen.
    Er saß auf einer Rolle wie sein Freund, hatte auch einen Wachsstock brennen und las in einem Buch. Er blickte von demselben auf und antwortete:
    „Guten Abend, Señorita! Was wollt Ihr?“
    Das klang so scharf, so abweisend. Sie erbleichte und antwortete:
    „Ich meinte, Ihr hättet mir gestern für heute den Zutritt erlaubt, Señor.“
    Er besann sich und sagte schnell:
    „Ach ja! Setzt Euch!“
    Sie nahm auf der zweiten Rolle ihm gegenüber Platz. Er sah in das Buch und las weiter, ohne die geringste Notiz von ihr zu nehmen. Sie saß so demütig, so ergeben vor ihm; er bemerkte es nicht. Ihr Auge wurde feucht. Es vergingen fünf Minuten und abermals fünf; da war es ihm, als wenn er einen eigentümlichen Laut höre, geradeso, als wenn man ein schweres Schluchzen mit aller Gewalt niederkämpft. Er blickte auf und auf Zilli hin. Sie saß leichenblaß vor ihm, so schön, so wunderschön, als ob ein Bildhauer eine Statue hingesetzt und mit der dünnen mexikanischen Tracht verhüllt habe, die aber eigentlich als gar keine Verhüllung bezeichnet werden konnte. Aber diese Statue hatte Leben. Der schöne Busen hob und senkte sich in schneller Bewegung, die Mundwinkel zuckten krampfhaft, und über die marmornen Wangen tropfte eine schwere Träne nach der andern.
    „Warum weint Ihr?“ fragt er kurz.
    „Ich bin so traurig“, antwortete sie in leisem, verzagten Ton.
    „Warum?“
    Sie warf einen langen, unbeschreiblichen Blick in sein scheinbar kaltes Angesicht und schwieg. Da sprach auch er nicht. Er las weiter und weiter, aber immer öfter kehrte sein Auge zu ihr zurück. Sie wagte nicht zu ihm aufzublicken, aber da drang plötzlich ein weicher, warmer Laut an ihr Ohr.
    „Zilli!“
    Sie blickte schnell und fragend zu ihm empor.
    „Gerade so weinende Augen habe ich bereits einmal gesehen.“
    „Wo, Señor?“ fragte sie bebend.
    „In Mexiko. Ich wurde zu einer Schwerkranken gerufen, bei der ich fast stets eine junge Dame traf, welche die Alte aus Mitgefühl besuchte. Ich habe ihr Gesicht nur einmal flüchtig gesehen, denn so oft ich eintrat und sie zugegen war, verschleierte sie sich augenblicklich. Dies Gesicht war schön, so schön und rein, aber ich sah mehr die Augen als dieses Gesicht, denn sie standen voller Tränen. Diese Dame besaß ein reiches, tiefes Gemüt; sie war ein Engel, den ich nicht

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