46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
wieder vergessen habe und zu dem ich auch noch jetzt bete. Und ihre Augen waren ganz genau diejenigen, die ich jetzt bei Euch hier sehe.“
„Ihr liebtet sie, Señor?“
Er zögerte zu antworten, sagte dann aber unter einem tiefen Seufzer:
„Leider ja! Auch wir Männer sind schwach. Sie aber war ein reiches Grafenkind und noch dazu Braut, Braut zugleich mit ihrer Schwester. Ich wollte meinem Leid entfliehen und verließ Mexiko, habe es aber in Chihuahua doppelt wiedergefunden, denn Ihr seid ganz das Ebenbild jenes herrlichen Wesens, ganz so jung, so schön, scheinbar so reich und tief an – scheinbar, oh warum doch scheinbar!“
Er wendete sich ab. Sein Gesicht hatte plötzlich einen ganz anderen Ausdruck angenommen. Es war, als ob er alle Kraft zusammennehmen müsse, um ein schweres Leid hinab zu kämpfen; ja, als ob er gar mit Tränen ringe.
Da sprang sie von ihrem Sitz empor. Mit einer jähen Bewegung ergriff sie seine Hände, zog sie an sich und sagte mit flehender Stimme:
„Señor, nicht weinen, nicht weinen! Ich kann Euch nicht traurig sehen! Ihr zweifelt an mir, doch Ihr irrt, denn ich versichere Euch, daß –“
Sie hielt erschrocken inne, denn die Tür war geöffnet worden, und der Hauptmann stand vor ihnen. Er überflog die Gruppe mit einem grimmigen Blick, beherrschte sich aber doch und sagte in einem möglichst freundlichen Ton:
„Verzeihung, Señor! Doktor Berthold läßt Euch schleunigst bitten!“
„Wozu? Wo ist er?“
„In meinem Zelt.“
„Was wünscht er von mir?“
„Er hat einen meiner Leute in Behandlung. Der Mann ist ganz plötzlich krank geworden und leidet die fürchterlichsten Schmerzen.“
„Was fehlt ihm?“
„Ich glaube, er ist von einer Klapperschlange gebissen worden.“
„Klapperschlange? Hier in dieser Gegend und so kurz nach einem solchen Regenwetter? Das ist sehr unwahrscheinlich. Wenn es hier wirklich Klapperschlangen gibt, so haben sie sich jedenfalls vor der Feuchtigkeit verkrochen. Aber wenn der Mann gebissen worden ist, so muß man ihm so viel Spirituosen zu trinken geben, daß er besinnungslos wird. Ich werde sogleich kommen.“
„Ich soll Euch sogleich mitbringen.“
„Gut, ich gehe ja schon.“ Und sich zu dem Mädchen wendend, fügte er hinzu: „Verzeihung, Señorita! Ihr seht, daß ich in Anspruch genommen werde. Vielleicht sprechen wir dieser Tage weiter über das Thema, welches jetzt unterbrochen wird. Gute Nacht!“
„Ja, gute Nacht“, meinte auch der Hauptmann zu ihr. „Für junge Damen ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen die gehörige Zurückgezogenheit außerordentlich rätlich.“
Die Señorita tat, als ob sie die in diesen Worten liegende Beleidigung gar nicht herausgefühlt habe; sie ging ohne ein Wort zu erwidern. Den Deutschen aber verdroß diese Taktlosigkeit des Kapitäns, obgleich er es für unter seiner Würde hielt, ein Wort darüber zu verlieren. Er folgte dem Kapitän vielmehr lautlos bis an dessen Zelt. Dort angekommen, öffnete der Hauptmann den Eingang.
„Tretet ein Señor“, sagte er.
Der Arzt folgte der Aufforderung, fühlte sich aber sofort von mehreren Fäusten gepackt und niedergerissen. Er wollte um Hilfe rufen, kaum aber öffnete er den Mund, so wurde ihm ein zusammengeballtes Tuch in denselben geschoben. Dann band man ihn so, daß er sich nicht regen konnte.
Hierauf wurde ein Licht angebrannt, bei dessen Schein er sah, daß sein Kollege, geradeso gefesselt wie er, neben ihm lag. Vor ihnen stand der Kapitän mit dem Oberleutnant, und einige Soldaten, welche bei dem hinterlistigen Überfall mit tätig gewesen waren, soeben im Begriff, sich vor das Zelt zurückzuziehen.
Der Kapitän verschränkte die Arme über die Brust, warf einen höhnisch befriedigten Blick auf seine beiden Opfer und sagte:
„So, es ist gelungen! Euch werden wir schon unschädlich machen, für uns unschädlich und für die Mädchen.“
Da legte der Oberleutnant ihm die Hand auf den Arm und sagte:
„Herr Kapitän, überlegen wir uns, wie dies am sichersten und schnellsten geschehen kann. Ich habe nämlich eine Idee.“
„Ah, welche?“
„Untersuchen wir die Habseligkeiten dieser beiden Herren. Sie sind Deutsche. Man weiß, daß diese Herren Österreicher jetzt gegen uns Franzosen konspirieren. Dieser Erzherzog Max, welchen wir erst zum Kaiser gemacht haben, scheint dies vergessen zu wollen. Man muß vorsichtig sein und alle Maßregeln ergreifen, um sich gegen geheime Gefahren zu sichern.“
„Wie meinen Sie das?
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