46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
mir.“
„Uff! Mein Bruder will sich zu ihnen hindurchschleichen?“
„Ja“, antwortete Gerard.
„Das ist zu gefährlich!“ warnte André.
„Pah! Für mich nicht!“ sagte Gerard.
„Mein weißer Bruder ist wie die Schlange, welche des Nachts kein Mensch sieht und hört, bis sie sticht“, stimmte der Apachenhäuptling bei.
Der kleine André versuchte, noch einige Einwände zu erheben, doch vergebens. Gerard dachte zwar an Resedillas Bitte, sich in keine unnötige Gefahr zu begeben, aber er war so gewandt im Anschleichen, daß er fast gar keine Gefahr bei diesem Unternehmen sah.
Als es vollständig dunkel geworden war, ging er an das Werk, gebot jedoch vorher, daß man versuchen solle, sich der Pferde der Feinde zu bemächtigen.
Droben auf der kleinen Anhöhe lagen die Belagerten um ein Feuer.
Der Anführer, General Hannert, stocherte mit einem Ast in der Glut herum und stieß halblaute Flüche in den Bart. Einige Offiziere saßen bei ihm, aber schweigend. Sie sahen ganz so aus, als wenn der Hunger ihnen den Mund verschließe.
Weiter seitwärts saßen Soldaten und Westmänner beisammen, und noch weiter entfernt sah man die Posten stehen, welche das Lager vor einem Überfall zu verwahren hatten. Unweit des Feuers lagen viele Packsättel, und dabei standen Körbe, in denen, wenn man sie geöffnet hätte, man kleine Beutel gefunden hätte, welche mit klingender Münze gefüllt waren.
Der übrige noch freie Raum war mit angepflockten Tieren angefüllt, welche vergebens der den Boden deckenden Grasasche einen Halm zu entreißen versuchten. Es herrschte eine traurige Stille über diesem Lager.
Da endlich hörte man eine Unterbrechung.
„Goddam!“ sagte der General laut. „Was ist nur mit diesem André geschehen?“
„Ob man ihn unterwegs weggefangen hat?“
„Möglich! Dann aber sind wir verloren.“
„Wir noch nicht, General.“
„Aber unsere Fracht, unser Geld.“
„Warten wir noch bis morgen!“
„Bis morgen? Pah, da fallen unsere Tiere um, wenn sie uns tragen sollen!“
„Aber was sonst, General?“
„Ich kenne nur ein Mittel: Morgen früh werden die roten Schufte uns einen abermaligen Besuch machen wollen. Wir aber kommen ihnen zuvor.“
„Wir besuchen sie?“
„Ja.“
„Und schlagen uns durch?“
„Ja.“
„Ohne das anvertraute Geld?“
„Nein, sondern mit demselben.“
„Aber unsere Tiere sind zu schwach.“
„Wir holen uns andere.“
„Wo?“
„Da unten bei den Comanchen. Mein Plan ist nämlich der: Es nimmt jeder einen Teil des Geldes an sich. Wir bilden Phalanx und schlagen uns bis zu den Pferden der Comanchen hindurch. Erreichen wir diese, so sind wir gerettet.“
„Ein verzweifelter Plan!“
„Wer weiß einen besseren?“
„Ich!“
Aller Augen wendeten sich nach der Seite, von welcher diese Antwort erschollen war. Dort stand ein hoher, starker Mann mit dichtem Vollbart, beide Hände auf die Büchse gestützt. Niemand kannte ihn. Es war ein Weißer. Wie war er hergekommen? Durch die Posten der Comanchen und ihre eigenen?
Die Männer waren förmlich erschrocken, als sie ihn erblickten. Der General faßte sich am schnellsten. Er musterte den Fremden und fragte ihn:
„Herr, wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher?“
„Der ‚Kleine André‘ schickt mich“, antwortete der Gefragte. „Ich habe mich durch alle Posten geschlichen, bis hierher.“
„Donnerwetter, das bringt nur ein echter, tüchtiger Jäger fertig!“ sagte der General im Ton der Bewunderung. „Sie sind nicht bemerkt worden?“
„Weder von den Comanchen noch von Ihren Leuten“, entgegnete der Mann.
„Dann haben Sie ein Meisterstück gemacht. Wer sind Sie?“
„Der, welchen Sie erwarten.“
„Der, welchen ich erwarte? Ah, ich erwarte allerdings einen, der ganz und gar der Kerl ist, sich durch alle Vorposten der Welt hindurchzuschleichen!“
„Wie heißt der Mann?“
„Es ist der ‚Schwarze Gerard‘.“
„Der bin ich, General.“
Diese Worte wurden in einem höchst einfachen, bescheidenen Ton gesprochen, aber sie hatten doch eine ganz besondere Wirkung. Der General sprang auf, und auch die anderen schnellten, freudig überrascht, vom Boden empor und traten näher.
„Wie? Was? Sie sind Gerard?“ fragte der erstere.
„Ja, ich bin es.“
„Gott sei Dank! Willkommen, Master! Wir befinden uns in einer nichts weniger als angenehmen Lage; aber Ihr Erscheinen bringt mir die Hoffnung, daß wir gerettet werden. Der ‚Kleine André‘ hat Sie
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