47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Diese Szenerie, oder eine sehr ähnliche, war alles, was sie von der Burg aus sehen konnte, die Fürst Kira als Bergfeste diente. Unter anderen Umständen hätte sie den Ausblick atemberaubend gefunden ... genauer gesagt, unter allen anderen Umständen als denen, in denen sie sich gerade befand: Sie war ein »Gast«, der von Kira gefangen gehalten wurde, und außerstande, nach Ako zurückzukehren, bis das Trauerjahr beendet und sie gezwungenermaßen Kiras Gemahlin geworden war.
Kira war nach der Abreise des Shoguns nicht lange in dem Lehen geblieben, das dieser ihm versprochen hatte. Gerade lange genug, um Oishi Yoshio, den Burgvogt ihres Vaters und seinen vertrauten Freund, der immer wie ein älterer Bruder über sie gewacht hatte, zu hintergehen und gefangen zu nehmen. Er war der Einzige unter den Truppen ihres Vaters und den Bewohnern von Ako, der genügend Einfluss besaß, um dem Mann, der das Leben ihres Fürsten, seine Ländereien – und seine Tochter – an sich gerissen hatte, gefährlich zu werden.
Die Untergebenen ihres Vaters waren alle zu Ronin geworden. Als Kiras Söldnerarmee sie alle aus ihrem Land vertrieben hatte, hatten sie nichts mitnehmen dürfen, außer dem Wissen, dass sie auf den ersten Blick getötet würden, wenn sie Ako je wieder betraten. Und obwohl der Shogun die Blutrache verboten hatte, hatte Kira aus lauter Angst um seine eigene Sicherheit Oishi in das Verlies der Burg geworfen.
Und Kai
...
Nein. Nicht jetzt ... noch nicht
. Ihre Hände ballten sich in einem stummen Schwur zu Fäusten, versteckt in den Falten ihrer Kimonoärmel, während sie sich vorstellte, seine Hand zu halten. Eine Gelegenheit, einem von ihnen zu helfen, würde sich wohl erst ergeben, wenn sie nach Ako zurückkehrte.
Bald ... bald
, versprach sie sich selbst und kämpfte darum, die ausdruckslose Miene, die sie wie eine Maske trug, beizubehalten. Es war noch nicht zu spät ...
sie musste nur noch ein wenig länger durchhalten
.
Sie hatte erst nach ihrer Ankunft hier vollkommen verstanden, warum Kira Ako so lange begehrt hatte. Es war alles, was er nie gehabt hatte: der reiche, fruchtbare Boden, die Schönheit und die Wärme ... selbst die noble Herkunft des Namens der Asano, den sie als letzte überlebende Erbin trug. Obwohl er sich das alles genommen hatte, würde er nie die Ehre der Asanos besitzen, nicht einmal, wenn er ihr den Namen stahl, um der neue Fürst Asano werden zu können, und sowohl Ako als auch ihr Leben kontrollierte.
Fürst Kira war ein rücksichtsloser, intriganter Feigling, der seinen zungenfertigen Charme und sein hübsches Gesicht – und wahrscheinlich Hexerei – verwendete, um sich bei anderen einzuschmeicheln. Darüber hinaus verwendete er die Macht von anderen, um zu bekommen, was er haben wollte, sodass er nie selbst einen Verlust zu fürchten hatte.
Sogar seine Konkubine Mitsuke – die unheimliche, wunderschöne Frau mit dem Schatten eines Fuchses und der Zauberkraft einer Hexe – schien auf irgendeine Weise unter seinem Bann zu stehen. Mika hatte Geschichten über
kitsune
gehört, die sich in Menschen verliebten. Aber wie konnte diese hier blind gegenüber der Tatsache sein, dass sie einen Mann liebte, der so hohl und oberflächlich wie eine Rüstung war und so betrügerisch, dass er tödlicher war als jedes Raubtier?
Vielleicht stießen selbst
yōkai
an ihre Grenzen, wenn es darum ging, die Liebe zu verstehen. Mika wusste, dass die Hexe sie mit wilder Eifersucht beobachtete – und mit einem Blick verfolgte, der sie auf der Stelle getötet hätte, wenn die
kitsune
nicht gefürchtet hätte, damit auch Kiras Liebe zu ihr zu töten. Mika wünschte, sie hätte der Fuchsfrau glaubwürdig versichern können, dass diese nichts von ihr zu befürchten habe und dass sie selbst nie etwas anderes als Hass für Kira empfinden würde.
Wenigstens hielt die Zauberin Kira oft genug in seinem Schlafzimmer beschäftigt, sodass er noch nicht versucht hatte, sich Mika zu nähern. Obwohl sie vermutete, dass er selbst davor Angst hatte ... Angst, dass sie ihn tötete, falls er ihre Ehre verletzte, oder, falls es ihr misslang, sich selbst. Doch komme, was da wolle, sie konnte garantieren, dass er niemals der wahre Fürst Asano sein würde, egal über welches Land er herrschte. Und sie nahm jede Gelegenheit wahr, ihn an diese Tatsache zu erinnern.
Ihre Hände waren von der Kälte, die der eisige Luftzug durch die weit geöffnete Tür hereinwehte, taub geworden. Sie schob sie in die Ärmel ihres
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