47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Gesellschaft am heutigen Abend finster an – es war die formwandelnde Hexe, die Kiras Beraterin war. Kira hatte sichergestellt, dass sie während einer Mahlzeit niemals einsam – oder alleine – war, selbst wenn er sich für längere Zeit am Hof des Shoguns befand.
Die Hexe kniete ihr gegenüber und war wie immer in feinste Seide und edelsten Brokat gekleidet – wie immer in den vielfältigen Farben des Walds, die ihr so gut standen. Die Farben und Muster ihrer Kleidung schienen sich ständig leicht zu verändern. Sogar wenn sie vollkommen still saß, war es, als würde über die Blätter der tiefen Wälder fortwährend eine unsichtbare Brise streichen.
Als Mika keine Anstalten machte, etwas zu essen, lächelte die Hexe. Sie wirkte belustigt, wie jemand, der ein dickköpfiges kleines Kind beobachtete. Eine Locke des schwarzen Haars der
kitsune
entglitt den Kämmen und blumengeschmückten Spangen, die ihre aufwändige Frisur zierten, und schlängelte sich wie eine Schlange im Wasser durch die Luft über der Tischoberfläche.
Ihre Hände lagen noch immer auf ihren Knien, und der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen, als die Hexe zusah, wie sich die Haarsträhne von selbst zu Mikas Stäbchen bewegte, sie aufhob und ein Stück Fisch auswählte. Einladend hielt sie es vor Mika.
Mika sah sie mit einem Blick aus Stahl an und bewegte sich weder, um den Fischhappen anzunehmen, noch, um ihm auszuweichen. Sie würde sich vor der
kitsune
nicht die Blöße geben, Angst oder Abscheu zu zeigen, oder irgendetwas anderes, das der Hexe den Eindruck vermitteln könnte, Kontrolle über sie zu haben. Als man Mika hierhergebracht hatte, hatte die Hexe alles in ihrer Macht Stehende versucht, um ihre Rivalin zu verängstigen und zu zermürben ... alles, was Kira zuließ.
Mika war schnell klargeworden, dass die
kitsune
ihr keinen Schaden zufügen würde, ganz gleich wozu sie fähig war. Sie war Kira ebenso hörig wie er ihr. Es ging nicht nur darum, dass die beiden die gleichen Ziele verfolgten ... obwohl sie das glücklicherweise taten, denn eins dieser Ziele sah für den Moment vor, dass ihre Geisel gesund und munter blieb.
Die Hexe fuhr fort, das Fischstück wie einen Köder vor ihr hin und her zu schwenken. Mika starrte sie weiterhin mit kalter Missachtung an. »Denkt Ihr, es interessiert mich, ob Ihr verhungert?« Ihr Lächeln wurde spöttisch. »Bald wird mein Fürst das haben, was er will, und dann könnt Ihr Euch wie Euer Vater das Leben nehmen ...«
Mikas Maske der Selbstbeherrschung zerbrach plötzlich, als die Worte sie wie ein Faustschlag trafen. »
Ihr
habt meinen Vater getötet!«
»Habe ich das?« Die Hexe zog ihre Augenbrauen hoch und war das Abbild unschuldiger Überraschung. »Wart Ihr nicht diejenige, die sein Herz brach? Er nahm das Halbblut aus Mitleid auf, und Ihr habt ihn mit Eurer Begierde verraten. Ihr wolltet die eine Sache, die Euch verboten war.« Gift troff aus den Worten. Eine weitere Haarlocke schlängelte sich frei, nahm ein weiteres, rohes Fischstück und zerquetschte es zwischen den Stäbchen. Sie ließ es in einer höhnischen Darstellung von Schmerzen zappeln, als würde es noch leben und versuchen, sich zu befreien. »Eure Liebe hat Ako zu Fall gebracht, Madame Mika ...«
Mika starrte die andere Frau an. Vor Schmerz verschwamm alles vor ihren Augen, und ihre Abwehr wurde in einem Schraubstock aus Trauer und Scham zerquetscht. Das Gesicht der
kitsune
löste sich auf und verwandelte sich, bis sie in ihr eigenes Gesicht starrte, das ein Zerrbild der Begierde war: Ihre Augen waren heller, ihre Lippen roter und sie bebten vor Sehnsucht. Mika wusste instinktiv, dass ihr Gesicht jedes Mal genau so aufgeleuchtet haben musste, wenn sie Kai angesehen hatte.
»Sind wir so unterschiedlich?«, flüsterte die Hexe leise, und die Unterlippe von Mikas Spiegelbilds begann plötzlich zu zittern. Ihr sehnsüchtiger Blick war erfüllt von der entsetzlichen Angst, ihre einzige Liebe zu verlieren.
Mikas Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus.
Die Gestaltwandlerin brach plötzlich in schallendes Gelächter aus. Ihr eigenes Gesicht glitt wieder an seinen Platz und verdrängte das gestohlene Abbild Mikas. Die gewundenen schwarzen Strähnen ließen die Stäbchen und den Fisch auf den Tisch fallen und schnellten zurück in die Hochsteckfrisur. Sie erhob sich und verließ immer noch lachend den Raum.
Auch nachdem sie fort war, schien ihr Gelächter durch das Zimmer zu spuken. Mika presste sich die
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