47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Die Ronin brachten ihre Pferde vom Steilhang herunter und suchten mit ihren Tieren Schutz in den verlassenen Läden und Häusern. Wie Oishi gehofft hatte, löschte der strömende Regen die Feuer, die Kiras Truppen gelegt hatten, und bewahrte die Stadt davor, ganz niederzubrennen. Die Menschen, die hier gelebt hatten, würden eines Tages vielleicht wieder zu etwas zurückkehren können, wenn man ihnen je die Erlaub dazu gab.
Das bedeutete allerdings nicht, dass sich für ihn oder seine Männer etwas geändert hätte. Nachdem der schlimmste Teil des Sturms vorübergezogen war, hatten sie jede Schwertschmiede der Stadt durchsucht. Die brauchbaren Klingen für Schwerter oder Speere, die sie gefunden hatten, konnte man allerdings an einer Hand abzählen. Den meisten fehlten die Griffe oder Stiele.
Oishi saß auf der Veranda der Hütte, in der er eigentlich hatte schlafen wollen. Wenn nur seine Gedanken aufhören würden, wie ein Eichhörnchen im Käfig von einem nutzlosen Gedanken zum nächsten zu springen. Er starrte ohne etwas zu sehen auf die Karte, die sie vom Berg des Buddha mitgebracht hatten, als wäre die Lösung seiner Probleme irgendwo zwischen den gezeichneten Linien verborgen, mit unsichtbarer Tinte geschrieben, die er nicht wieder sichtbar machen konnte.
Kai betrat die Veranda und schüttelte sich wie ein Hund das Wasser aus den Haaren. Oishi fragte sich, was er wohl gemacht hatte, dass er noch immer so nass war.
Hat er unter einem Wasserfall gestanden?
Oishi zuckte nicht mit der Wimper. Ihm war bewusst, dass er, selbst wenn er die Energie gehabt hätte, zu protestieren, dem Halbblut unendliche Nachsicht schuldete. Kai hatte Chikara und wahrscheinlich noch einige andere Männer an diesem Nachmittag vor dem Tod bewahrt. Er hatte sie alle beschützt, indem er verhinderte, dass die Nachricht ihrer Existenz zu Kira vordrang.
Und er hatte ihnen wieder einmal die Wahrheit vor Augen geführt.
Kai sah zu ihm und der neben ihm ausgebreiteten Karte hinunter.
»Wir können nach Hida gehen«, sagte Oishi und zeigte auf den Ort. »Dort wird man uns Waffen geben.«
»Hida wird nichts haben«, entgegnete Kai geradeheraus. »Kiras Männer werden die ganze Region abgesucht haben.«
Oishi antwortete nicht. Er hatte ohnehin erwartet, das zu hören, denn es erschien auch ihm als das Wahrscheinlichste. Er wartete, weil er spürte, dass das Halbblut nicht nur hierhergekommen war, um Oishi Denkfehler aufzuzeigen, die er selbst erkennen konnte.
Kai stand da und starrte in die Dunkelheit hinaus, als würde es ihm aus irgendeinem Grund schwerfallen, das, worüber er wirklich sprechen wollte, vorzubringen. »Es gibt eine andere Möglichkeit«, sagte er schließlich.
Oishi schaute hoch.
»Wir werden Schwerter im Meer der Bäumen finden. Im
tengu
-Wald.« Kai starrte weiterhin hinaus in die Nacht und den Regen.
»Das ist nur ein Märchen.« Oishi schüttelte den Kopf und war unwillkürlich enttäuscht.
Doch das Halbblut schaute mit diesem zermürbenden Starren zu ihm hinunter, das so selten etwas preisgab und niemals jemanden hineinließ. »Es gibt sie wirklich«, sagte es leise. »Ich habe sie gesehen.«
Oishis Gesichtsausdruck veränderte sich von Verärgerung zu etwas vollkommen anderem, als Kais Gesicht schließlich doch die Spur einer Gefühlsregung zeigte. Der gehetzte Ausdruck eines Mannes, der sein Leben lang gequält worden war, stieg in den dunklen Augen auf und erfüllte sie irgendwann ganz, bis es schien, als sei dieses Leben das Einzige, was Kai je gekannt hatte.
Sein ganzes Leben lang haben die Menschen das Halbblut beschuldigt, ein Dämon zu sein, und er hat es immer abgestritten. Doch jetzt ... was wollte er damit sagen?
Oishi stand auf. »Komm herein«, sagte er.
Kai folgte ihm in das warme Innere eines von einem Fremden verlassenen Hauses und schaute sich neugierig um. Gewöhnliche Leute, die als Handwerker arbeiteten, standen gesellschaftlich unter den Bauern, weil das, was sie herstellten, nicht lebensnotwendig war. Aber Metallschmiede, insbesondere diejenigen, die feinste Schwerter herstellten, waren immer begehrt, und die Leute in diesem Dorf hatten sich einige hübsche, wenn auch unnötige Besitztümer erarbeitet. Die Plünderer, die sie hier erwischt hatten, hatten das wohl auch erkannt.
Oishi kniete sich in der Mitte des Raums neben die glühende Feuerschale auf die Tatami und bedeutete Kai, es ihm gleichzutun.
»Woher weißt du etwas über den
tengu
-Wald?«, fragte er, nachdem Kai sich ihm
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