Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
zu ernähren, dazu gezwungen waren, alte Menschen oder ungewollte Kinder auszusetzen und sie in einem Wald oder auf einem Berg ihrem Tod zu überlassen.
Eine seiner Pflichten als Fürst Asanos
karō
war gewesen, sicherzustellen, dass niemand in Ako je eine solche Entscheidung treffen musste
...
    Kais Blick heftete sich auf den Waldboden. Nebel wirbelte um die Beine der Pferde und verdeckte ihn.
    Oishi sah nach vorn und unterdrückte nur mit Mühe ein Schaudern. Er sah flackernde blaue Lichter, die sich wie unheimliche Glühwürmchen im Nebel bildeten und wieder verschwanden.
    »Was sind das für Flammen?«, fragte Bashō und zeigte darauf. Er schien der Einzige zu sein, der bereit war, Fragen zu stellen.
    »Ihre Seelen«, murmelte Kai. »Sie sind gefangen, so wie ihre Knochen unter unseren Füßen.« Seine Schultern verkrampften sich, als würde sich eine unsichtbare Hand um ihn herum schließen und versuchen, ihn zu Tode zu quetschen.
    In dem blaugrünen Licht war das Gesicht des Halbbluts blass wie ein Geist, beinahe durchsichtig. Als würde er jeden Moment selbst zu einem Geist werden und sie alle ihrem Schicksal überlassen, indem er verschwand. Kais Name bedeutete »Meer«, aber Oishi erinnerte sich plötzlich daran, dass dieser Name mit einem anderen
kanji
geschrieben »Geist« bedeutete. Kai starrte weiterhin in den Nebel, ins Nichts ... oder vielleicht sah er auch mehr als
Nichts
...
    Bashō warf ihm besorgt einen Blick zu und schaute dann ebenfalls nach unten. Die Falten auf seiner Stirn wurden tiefer und er wirkte beinahe bestürzt.
    Als Chikara Bashōs Ausdruck sah, schüttelte er den Kopf und lächelte das unwissende Lächeln der Jugend. Es entging ihm, dass der Gesichtsausdruck seines Vaters, der weiterhin Kai beobachtete, dem Bashōs immer ähnlicher wurde.
    Das Halbblut strahlte jetzt fast greifbares Unbehagen aus. Er hielt sein Pferd an und stand in den Steigbügeln auf. Dabei schaute er von einer Seite zur anderen, als gäbe es etwas zu sehen. Doch außer dem Labyrinth aus Bäumen, um das unheimlicher Nebel waberte, und den blauen Lichtern, die überall aufschimmerten und wieder erloschen, war nirgendwo etwas zu sehen. Jedenfalls nicht für Oishi. Um sie herum war überall tropfendes Wasser zu hören und die stöhnenden, trauernden Stimmen der verlassenen Toten.
    Doch vielleicht sah, hörte oder spürte Kai etwas, für das die anderen blind waren ... weil ihnen das dritte Auge fehlte.
    Kai ließ sich wieder in seinen Sattel fallen und hob plötzlich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Hand zum Gesicht. Er presste seine Handfläche gegen die Narben auf seiner Stirn, als hätten sie angefangen zu pochen.
    »Haben wir uns verlaufen?«, fragte Oishi und versuchte, die Angst aus seiner Stimme zu verbannen.
    »Nein«, murmelte Kai, »wir müssen hier entlang.« Er wandte sein Pferd nach rechts und ritt voran.
    Innerhalb weniger Schritte lüftete sich der Nebel vor ihnen, als hätte ein kräftiger Wind ihn weggeblasen, obwohl es nicht einmal eine Brise gab. Oishi schnappte überrascht nach Luft. Hinter sich hörte er ungläubige Rufe und Laute der Reiter.
    Sie standen einem
tengu
von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Dieser
tengu
war doppelt so groß wie ein Mensch und angsteinflößender als alles, was Oishi sich je vorgestellt hatte. Mitten in dem seltsam menschlich anmutenden Gesicht befand sich ein scharfer, falkenartiger Schnabel. Die Haut ähnelte der eines Reptils, und die Hände und Füße waren mit eindrucksvollen Krallen bewehrt. Außerdem hatte er Flügel, um seine Opfer besser verfolgen zu können und sich von oben auf sie zu stürzen.
    Das Halbblut stieg vom Pferd, baute sich vor ihm auf und sah nach oben. Auf seinem Gesicht waren Resignation und Entschlossenheit abzulesen, aber keine Spur von Angst. »Wir lassen die Pferde hier«, sagte er.
    Oishi erkannte plötzlich, dass sie nur eine aus Stein gemeißelte Statue sahen, und konnte es kaum fassen. Das war gar keine lebende Kreatur. Er atmete tief durch und fragte sich, wie er jemals hatte glauben können, dass die Steinfigur lebendig war. Er schwang sich aus dem Sattel. Hinter sich hörte er erleichtertes Gemurmel und Seufzen, während die Männer abstiegen.
    Das Halbblut wartete, bis alle Pferde angebunden waren. Dann wandte er sich ohne Erklärung um und ging los. Er durchquerte einen Eingang in der Steinwand, als gäbe es den riesigen
tengu
gar nicht. Als er den Ort, an dem es aufgewachsen war, betrat, ließ irgendetwas an seinem Verhalten

Weitere Kostenlose Bücher