47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
dem schlafenden Buddha versteckt lag.
Oishi beobachtete, wie das Halbblut eins mit den Schatten wurde und verschwand, als hätte er nie existiert, und konnte sich plötzlich nicht bewegen. Ein merkwürdig distanzierter Teil seiner selbst beobachtete ungläubig, wie sein Körper in abergläubischer Angst erstarrt war.
So etwas hatte er sich nie ausgemalt
.
Er war hin- und hergerissen zwischen den Schrecken des Unbekannten und ihrer einzigen Hoffnung, ihren Fürsten zu rächen. Dessen Seele würde auf ewig zwischen den Welten gefangen bleiben. Sie würde wie die stöhnenden Gespenster im Wald hinter ihnen zu einem gequälten Geist werden, wenn die Feigheit seinen
karō
davon abhielt, dem Halbblut-
hinin
in die Dunkelheit zu folgen.
»Herr«, sagte Horibe, »lasst mich mit Euch kommen ...«
»Nein.« Oishi schüttelte den Kopf. Das Wort ließ ihn zu einer Entscheidung gelangen. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Allein sein Zögern, nachdem er Kai ein Versprechen gegeben hatte, war beschämend. Er verfluchte sich leise und nahm das Schwert ab, das er in Uetsu bekommen hatte. »Tut, was er sagt.«
Bleibt hier
. Prüfend sah er seine Männer an. Schließlich ruhte sein Blick auf Chikara.
Sein Sohn beobachtete mit geballten Fäusten, wie Oishi auf den versteckten Eingang unterhalb des gigantischen Buddha zuschritt und genau wie Kai in der Dunkelheit verschwand. Yasuno trat einen Schritt vor, als wolle er ihm trotzdem folgen, aber Bashō stellte sich ihm mit ausgebreiteten Armen in den Weg und schüttelte den Kopf.
Kai ging tiefer in die Dunkelheit hinein, obwohl er hinter sich keine Schritte hörte. Jetzt war er so weit gekommen und man hatte ihm Zutritt gewährt, da gab es kein Zurück mehr. Eigentlich war es fast egal, was die anderen jetzt tun wollten. Die Vergangenheit zog sich wie ein Netz immer enger um ihn herum zusammen, bis seine Sinne von Erinnerungen erstickt wurden, als würde er nicht den Raum, sondern die Zeit durchqueren ... und sich freiwillig zurück in den Mutterleib begeben.
Er wurde sich seiner schlurfenden Schritte, seines flachen Atems und des Blutes, das in seinen Ohren rauschte, bewusst. Er tastete sich mit den Händen an den Tunnelwänden entlang und spürte den dichten Bewuchs von Moosen und Pilzen unter seinen Fingerspitzen. Die vollkommene Dunkelheit zwang ihn, sich auf seine anderen Sinne zu verlassen. Der modrige Geruch von Feuchtigkeit und verrottenden Pflanzen, das Gefühl, ein Teil der Erde zu werden, während er unter der massiven Steindecke entlangging, die Essenz des mit der Erde verbundenen Buddha ... die Quelle der Stärke für all diejenigen, die wirklich eins mit der Macht des Berges waren.
Er erinnerte sich an all das, als wäre er erst gestern von hier entkommen und nicht vor zwanzig Jahren. Denn, genau wie der Älteste es prophezeit hatte
...
Der Bann von Zeit und Erinnerung, der ihn ergriffen hatte, wurde durch das Geräusch stolpernder Schritte hinter ihm gebrochen. Oishi rannte in ihn hinein und grunzte überrascht. Kai drehte sich um und fing den älteren Mann mit einem unsicheren Lachen auf. Oishi sagte nichts, doch er legte seine Hand zur Beruhigung und als Entschuldigung leicht auf Kais Schulter, bevor sie nebeneinander weitergingen.
Kai hörte jetzt voraus Gesang. Es war derselbe unheimliche Singsang wie in seinen Erinnerungen. Die Sutras und Mantras wurden endlos wiederholt von Stimmen, die von verstörenden Zwischentönen überlagert widerhallten, bevor sie von den mit Wurzeln und Pilzen überkrusteten Wänden des Raums vor ihnen absorbiert wurden. Er kannte die Szene, die sie erwartete, aus seiner Jugend. Sie würde Oishis Sichtweise der Wirklichkeit grundlegend in Frage stellen. Mehr noch als Kais erste Begegnung mit den Menschen ihn verwirrt und verängstigt hatte. Wenigstens hatte er vorher Bücher und Schriftrollen gesehen und als Junge hin und wieder die Chance gehabt, einzelne Menschengruppen auszuspähen. Doch er bezweifelte, dass irgendein anderer lebender Mensch je zu Gesicht bekommen hatte, was Oishi gleich sehen würde.
Er hielt eine Hand hoch, und Oishi blieb neben ihm stehen. Das heller werdende Licht und der deutlicher zu hörende Singsang verrieten ihm, dass sie fast am Ende des Tunnels angekommen waren. Er drehte sich zu Oishi um und konnte den anderen Mann nun deutlich sehen. Fassungslos erkannte er, dass Oishi noch immer sein Schwert trug. Andererseits hatte er bis vor einem Moment noch gedacht, dass der Mut Fürst Asanos
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