47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
früheren
karō
vollkommen verlassen hatte. Er schluckte seine Frustration hinunter und versuchte, erleichtert darüber zu sein, dass der Mann sich nur gesperrt hatte, eine Dämonenfestung unbewaffnet zu betreten.
Auf jeden Fall entzog sich ab jetzt alles, was sie erwartete, ihrer Kontrolle. Das einzig Bedeutsame, das sie jetzt noch besaßen, war ihre mentale Stärke – ihre Entschlossenheit, ihr Ziel zu erreichen, egal was sie dafür durchmachen mussten. Das Endergebnis – und davor hatte er Oishi versucht, in Uetsu zu warnen – konnte weder durch blinden Mut noch körperliche Kraft erreicht werden, sondern nur durch reine Willenskraft und Selbstbeherrschung.
Er sah Oishi tief in die Augen und sagte: »Was immer auch geschieht, ganz gleich was Ihr seht ...
zieht nicht Euer Schwert
«. Er wollte, dass Oishi glaubte, was in seinen Augen zu lesen war, die Dringlichkeit seiner Bitte wahrnahm und –
Götter, nur dieses eine Mal
– ihm bedingungslos gehorchte.
Oishi nickte entschlossen, doch Furcht lag wie ein Schatten auf seinem Gesicht, und er sah zu seinem
katana
hinunter.
Kai war wieder einmal verwundert ...
immer noch, nach all den Jahren
... über die engen Grenzen, die die meisten Menschen sich setzten, um ihre Existenz und die Dinge zu definieren, die hineingehörten oder nicht hineingehörten. Er ging weiter auf den Gesang und das Licht zu. Oishi folgte ihm und warf immer wieder Blicke über seine Schulter auf den Weg zur Außenwelt.
Draußen, im erdrückenden Herzen des Meeres der Bäume warteten die anderen Ronin. Sie liefen unruhig umher oder traten von einem Fuß auf den anderen und konnten nicht stillstehen, während die Sekunden dahintröpfelten wie das Kondenswasser von den Blättern. In dem ständig wabernden Grau um sie herum waren das Stöhnen und Weinen der ebenfalls unruhigen Geister zu hören und schabte wie eine scharfe Klinge an ihren Nerven.
»Woher wissen wir, dass das Halbblut ihn nicht in eine Falle gelockt hat?«, wollte Yasuno plötzlich wissen.
Bashō sah zu ihm hinüber und fühlte sich genauso unbehaglich. Doch ganz gleich was nun geschah, er konnte irgendwie nicht länger glauben, dass das Halbblut sie verraten würde. »Oishi vertraut ihm«, sagte er und hoffte, dass das Yasunos Besorgnis beschwichtigte.
Doch Yasuna schaute ihn empört an. »Er hat keine Wahl. Wir brauchen Waffen. Wenn er nicht bald zurückkommt, werde ich ihm nachgehen.« Er schaute zum Eingang und seine Hand schloss sich wie ein Schwur um seinen Schwertgriff.
Bashō schaute an ihm vorbei auf das gütige Antlitz Buddhas, der mit geschlossenen Augen und einem zufriedenen Lächeln im Gesicht zurückgelehnt dalag. Er betete, dass Buddha wirklich weiser war, als jeder von ihnen es je sein würde, und konnte sich doch des Gedanken nicht erwehren, dass nur ein aus Stein gemeißeltes Gesicht an einem Ort wie diesem so unglaublich friedvoll aussehen konnte.
Oishi blieb verwundert stehen, als sie eine natürliche Höhle betraten, in der Männer mit rasierten Köpfen – wie Kai früher – singend im Altarbereich eines buddhistischen Tempels saßen.
Mönche ... in einem verlassenen Tempel im
tengu-
Wald?
Die Mönche waren in Roben aus grobem, ungefärbtem Stoff gekleidet und saßen im Lotussitz. Im Fackellicht meditierten und beteten sie in ordentlichen, geschwungenen Reihen, die ihn an an den Strand rollende Ozeanwellen erinnerten. Vor ihnen stand auf der anderen Seite der Höhle eine aus Metall gegossene und mit Blattgold überzogene Statue. Sie saß in derselben Position wie die Mönche selbst, nur auf einem Steinsockel. Statt allerdings wie sie die Arme in die Höhe zu recken und mit den Fingern graziöse Mudras zu formen, hielt sie in der einen Hand ein Schwert und in der anderen ein langes Seil. Ihr Ausdruck war nicht der abgeklärte Ausdruck Buddhas, sondern ein zorniges, misstrauisches Starren. Fangzähne ragten aus dem grimmig verzogenen Mund hervor.
Fudō Myō-ō
. Oishi unterdrückte im letzten Moment einen plötzlichen Ausruf, als er das Bild des unerschütterlichen Beschützers erkannte – der buddhistischen Gottheit, die alle Hindernisse verbrannte, um den Lebenden in ihrem Streben nach Erleuchtung zu helfen.
Da wurde ihm klar, dass dies ein versteckter Schrein der Yamabushi gewesen sein musste, oder immer noch war. Die asketischen Mönche verbanden die Verehrung von Buddhas göttlichem Geist mit Japans ureigener Shintō-Tradition. Für sie hatte die unnachgiebige Figur des Fudō Myō-ō eine
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