47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
wieder hin und wandte ihr den Rücken zu, als hätte nur sein Schmerz ihn aufgeschreckt.
Madame
, dachte er,
das Leben ist nur der Traum eines Schmetterlings. Angenehme Träume
...
Er schloss die Augen und erinnerte sich, dass er diese Zeilen bereits einmal zuvor in einem Gedicht, das er im Morgengrauen nach ihrer dritten gemeinsamen Nacht für seine schlafende Frau geschrieben hatte, benutzt hatte. Zuerst verursachte die Erinnerung ihm Schmerzen wie eine körperliche Wunde und so tiefgehend wie der Verlust der Liebe – sie war beinahe unerträglich. Doch er wiederholte das Gedicht wie ein stilles Mantra, bis der Schmerz vorüberging und seine Erinnerungen langsam verblassten ...
Und zu seiner Überraschung schlief er tief und fest.
Kurz vor Morgengrauen wurde er durch einen sanften Schubs geweckt. Er öffnete die Augen, und sein Sohn starrte ihn an.
»Wa...?«, murmelte er und tastete nach seinem Schwert. »Ärger?«
»Nein. Nein, Herr ...«, flüsterte Chikara und schüttelte den Kopf. Seine Hand drückte Oishis Arm mit dem Schwert nieder. »Aber ... Mika-
hime
...« Es war noch zu dunkel für Oishi, um Chikaras Gesichtsausdruck zu deuten, als dieser zu der Stelle schaute, an der die Dame Mika sonst immer schlief, aber jetzt nicht.
»Mhm ...« Oishi legte sich mit einem zufriedenen Lächeln zurück und schloss die Augen.
»Vater!« Chikara schüttelte ihn erneut, und seine gedämpfte Stimme bewegte sich zwischen Panik und Fassungslosigkeit. »Herr ... Vater ... Sie ist bei Kai. Bitte, Herr, tötet Kai nicht ...« Er lehnte sich so schwer auf Oishis Schwertarm, dass Oishi einen Fluch herunterschluckte und ihm eine Kopfnuss gab.
»Ich habe nicht die Absicht, irgendjemand zu töten ...«, murmelte Oishi. Chikara wich zurück und war sprachlos. »... oder es jemandem zu erzählen.«
»Aber ich hatte Angst, wenn die anderen merken ...«
»Sei leise, sonst werden sie es noch. Wieso bist du wach?«
»Ich musste pissen.«
Oishi seufzte. »Bleib einen Moment hier«, sagte er und setzte sich auf, während sein Sohn sich neben ihn kauerte. Er rieb sich die Augen und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Chikara ...« Er holte tief Luft. »Hast du jemals gehört, dass jemand sagte ›die Vergangenheit ist wie ein anderes Land – man macht die Dinge dort anders‹?«
Chikara nickte und sah verwirrt, aber aufmerksam aus. »Mir kam es aber so vor, als ob das nur gesagt würde, um die Gegenwart zu verteidigen.«
»Du bist deinem Alter weit voraus ...« Oishi lächelte trocken. »Als wir uns dem Shogun widersetzten, um gerechte Rache für unseren Fürsten zu nehmen, hat jeder hier geschworen, den Rest seiner Tage im Land der Vergangenheit zu verbringen. Und im Land der Vergangenheit – wo ein Mann den Titel ›Samurai‹ durch seine eigenen Taten erringen konnte – waren Hochzeiten mehr als nur ein Austausch von Unterpfändern, um politische Allianzen zu stärken. Ein Paar, das heiraten wollte, musste nur für drei Nächte zusammen schlafen ...«
Chikara riss die Augen auf, und diesmal konnte Oishi seinen Gesichtsausdruck klar erkennen. Sein Sohn verbeugte sich unerwartet vor ihm. »Vergebt mir, Vater«, murmelte Chikara. »Ich werde niemals so weise sein, wie Ihr es seid.«
Oishi lächelte erneut, aber diesmal verbarg sein Lächeln einen Anflug von Traurigkeit. »Du warst es, der mir die Augen für die Wahrheit geöffnet hat.« Er schaute zu den Bäumen, wo Mika und Kai in inniger Umarmung Herz an Herz schliefen. »So«, er schaute seinen Sohn liebevoll an, »darf ich mich jetzt bitte ausruhen – wenigstens, bis die Sonne aufgegangen ist?«
Chikara stand auf, verbeugte sich noch einmal und ging zu seinem Schlafplatz. Oishi beobachtete ihn, bis er es sich unter seiner Decke gemütlich gemacht hatte und friedlich eingeschlafen war.
Oishi rollte sich wieder auf den Rücken und bedeckte sein Gesicht mit seiner Hand. Er wollte sich nicht vor dem anbrechenden Tageslicht schützen, sondern vor den Gefühlen, die plötzlich seinen Körper und seine Seele überschwemmten, bis seine Augen beinahe überflossen.
Als die Ronin aufwachten und ihre Vorbereitungen für den neuen Tag trafen, erwachte Oishi und sah Mika-
hime
, die an seiner Seite auf ihrem Schlafplatz lag, als hätte sie ihn nie verlassen. Er fragte sich, ob seine Erinnerungen an die vergangene Nacht nur ein Traum gewesen waren, bis sie sich rührte und ihre Augen aufschlug. Sie erwiderte seinen Blick, und ihre glänzenden Augen und das schüchterne
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