47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Oishi dennoch zu erkennen. Dann bat sie höflich und mit weit mehr Selbstsicherheit, als sie ohne die wachsamen Augen ihrer Ahnen gespürt hätte, um Erlaubnis, Burg Ako betreten zu dürfen.
Zu ihrer Überraschung kam der Hauptmann der dort stationierten Truppen selbst ans Tor und befahl, dass der Durchgang für sie geöffnet wurde. Er erwiderte ihre höflichen Verbeugungen, als wäre er durch ihre Anwesenheit geehrt und stünde nicht Verbrechern gegenüber: einer Braut, die fortgelaufen war, und einem gesuchten Kriminellen, der den für sie bestimmten Ehemann getötet hatte. Mika und Oishi tauschten unsichere Blicke, als er sie mit einem seiner Leutnants zum inneren Tor schickte, das sie ebenfalls passieren durften, um schließlich den Boden des oberen Burghofs zu betreten.
Mika ging nur zögernd in den Innenhof – nicht, weil sie von den Samurai des Shoguns beobachtet wurden oder weil sie dazu gezwungen gewesen waren, wie Bettler ans Tor zu treten, das von Rechts wegen für sie weit offen stehen sollte ... sondern weil sich im letzten Jahr so vieles in ihrem Leben, ihrer Denkweise und ihrem Herzen verändert hatte, dass nichts an dem Ort, den sie immer als ihr Zuhause betrachtet hatte, ihr noch vertraut erschien.
Sie sah dieselbe Desorientierung in Oishis Blicken, die von Trostlosigkeit abgelöst wurde, während sie auf den verlassenen Palast starrten, wo Fürst Asano einst regiert hatte. Oishis Blick schweifte in die Ferne, und sie wusste, er schaute auf sein früheres Zuhause – einen Landsitz, der dem
karō
einer Burg angemessen war und den er mit seiner Frau und dem sechzehnjährigen Ronin geteilt hatte, der einmal sein Sohn und Erbe gewesen war ... bis Fürst Kira in ihr Leben getreten war.
Sie betrachtete den Garten ihres Vaters und sah nur verwelkte oder wuchernde Büsche, die im Unkraut erstickten. Mehr war von der Schönheit, die er mit so viel Fürsorge und Freude gepflegt hatte, nicht übrig geblieben. Der Garten war ebenso vernachlässigt worden wie sein Grab.
Doch selbst hier waren die Kirschbäume mit einer Fülle von Blüten überzogen – der greifbare Beweis dafür, dass es ein jenseitiges Dasein gab, das auch ohne menschliche Genehmigung und außerhalb ihrer Kontrolle existierte ... und nichts von flüchtiger Trauer, zerbrechlichen Augenblicken des Glücks oder hoffnungsloser Sehnsucht wusste, die die Summe des sterblichen Lebens bildeten.
Wabi-sabi
... Sie ertappte sich bei dem Gedanken an den Koi-Teich ihres Vaters und fragte sich traurig, ob es noch überlebende Fische darin gab, oder ob sie sich alle auf die Steine geworfen und ihr eigenes, seltsames
junshi
begangen hatten, um ihrem Fürsten in den Tod zu folgen. Mit einer zögerlichen Verbeugung fragte der Leutnant, ob sie wünsche, den Palast zu betreten. Sie schüttelte den Kopf und konnte sich plötzlich nicht einmal vorstellen, einen Fuß dort hineinzusetzen, geschweige denn die Gemächer ihres Vaters zu sehen, nachdem alles ein Jahr lang dem Feind gehört hatte.
Die Brise frischte auf und wirbelte eine Wolke aus Staub und Blütenblättern auf, die den trostlosen Anblick noch schlimmer machte. Schließlich sah sie Oishi an. »Was wird jetzt nur aus uns werden?«, murmelte sie.
Er sah ihr in die Augen und las ihre Gedanken. »Akos Ehre wird wiederhergestellt werden, Madame«, sagte er. Seine Stimme war tapfer und überzeugend, als glaube er noch immer daran, dass die Gerechtigkeit der Götter Ako vor der Gier der Menschen retten würde.
Doch als sie seinen Blick erwiderte, schaute er weg.
Sie nickte in Richtung des inneren Tors und bemerkte die unausgesprochene Überraschung des Leutnants, als sie ihm sagte, sie hätte genug gesehen.
Sie überquerten den unteren Burghof zum äußeren Tor, da näherte sich der Kommandant erneut. »Madame Asano«, sagte er, »der Shogun wird heute noch eintreffen. Er erwartet, Euch zu sehen und ...« Er räusperte sich und schaute unbehaglich nach unten. »Nun. Ihr solltet nicht lange warten müssen.«
Sie nickte zur Bestätigung und verbarg die plötzliche Kälte, die sie nach den unausgesprochenen Worten des Mannes ergriff. »Wir werden am Grab meines Vaters warten.« Sie nickte in Richtung des Tors, als wäre sie sicher, dass er sie hinauslassen würde.
Er verbeugte sich erneut und gab den Torwachen ein Zeichen, den Durchgang zu öffnen. »Es war mir eine Ehre«, sagte er und schaute sie bei diesen Worten beide an. Jetzt war sie noch verwirrter und noch mehr hin- und hergerissen als zuvor.
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