47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
seine Hand und brachte sie zum Schweigen. »Nach welchem Gesetz?«, fragte er mit schneidender Stimme.
»Ein Mann kann nicht unter demselben Himmel leben wie der Mörder seines Fürsten, oder auf derselben Erde wandeln«, rezitierte Oishi auswendig den jahrhundertealten Eid der Rache und wusste, dass der Shogun diesen so gut kannte wie er selbst.
Doch die Mundwinkel des Shoguns verzogen sich abweisend nach unten. »Die Gesetze des Himmels haben hier keinen Platz. Nur die Regeln der Menschen.«
Oishi nickte und hielt seinem Blick noch immer stand. »Das weiß ich, mein Fürst, und ich weiß auch, dass wir mit unserem Leben bezahlen müssen, um die Weltordnung wiederherzustellen. Meine Männer und ich folgten den alten Regeln des
bushidō
, um unseren Herrn zu ehren und Fürst Kiras Verrat zu sühnen. Wir handelten und wussten, dass die Strafe dafür der Tod ist. Wir sind Samurai. Dies ist unser Schicksal.« Bei seinen letzten Worten hielt er die von den Ronin mit ihrem Blut unterschriebene Schriftrolle hoch – ihre Absichtserklärung, Rache an Fürst Kira zu nehmen.
Die Menge der noch immer verweilenden Dorfbewohner, die wissen wollten, wie diese Begegnung ausging, murmelte überrascht und bewundernd.
Der Shogun schwieg lange. Ein solch aufrichtiges Geständnis und eine bereitwillige Kapitulation hatte er nicht erwartet … und eine derartige Menge, die der Konfrontation beiwohnte, ebenfalls nicht. Er dachte darüber nach, dass sogar hier in Ako die Menschen, die Fürst Asanos Männer bei der letzten Kirschbaumblüte noch als Feiglinge verachtet hatten, diese heute als Helden sahen.
Die Geschichte des Angriffs auf Kiras Festung hatte sich bereits bis an die äußersten Grenzen des Landes verbreitet. Er würde allein die Hälfte aller Menschen in Edo ins Gefängnis werfen müssen, um all das verräterische Lob auf die »tapferen siebenundvierzig Ronin«, das ihm zu Ohren gekommen war, zum Schweigen zu bringen. Jemand hatte doch tatsächlich bereits ein darauf beruhendes Theaterstück geschrieben. Menschen waren in Scharen herbeigekommen, um es zu sehen, bis er seinen Sittenwächtern befohlen hatte, es zu verbieten.
Er wusste, dass die Menschen Helden brauchten, und der Samuraistand hatte ihnen diese bisher immer geliefert. Doch ohne ständige Kriege und endlose Schlachten waren zu viele etwaige Helden zu schwerttragenden Bürokraten, Unruhestiftern oder Bettlern verkümmert.
In den Augen der Menschen waren diese Ronin bereits Helden. Sogar sein Verständnis des
bushidō
erfüllte ihn mit einer widerwilligen Bewunderung für das, was sie erreicht hatten.
Er musste die Situation mit der größtmöglichen Vorsicht handhaben, sonst würde er aus den vor ihm knienden siebenundvierzig Männern, die wie Kriminelle sterben mussten, etwas machen, das seiner Position viel gefährlicher werden konnte als einfache Helden.
Sie hatten einen direkten Befehl von ihm missachtet. Er durfte sie nicht begnadigen, das würde seine Autorität untergraben.
Aber dennoch
…
Sie hatten Fürst Asanos Erbin nach Ako zurückgebracht. Vielleicht hatten sie gehofft, die Wiederherstellung der Ehre ihres Fürsten würde ihn dazu veranlassen, ihr die Ländereien Akos wieder zuzusprechen.
Und vielleicht
…
»Seid Ihr stolz auf Eure Männer?«, fragte er Oishi.
Oishi hob erneut den Kopf und sah dem Shogun direkt in die Augen. »Sie sind die tapfersten Männer, die ich je gekannt habe, mein Fürst.«
Der Shogun nickte und lächelte schwach, denn der schmale Pfad, der ihn zwischen einer Klippe und einem Abgrund hindurchführte, erweiterte sich gerade. »Ich gewähre Euch den Tod eines Samurai – zu sterben wie Euer Fürst und an seiner Seite begraben zu werden. Ehrenhaft.«
Oishis Gesicht zeigte Überraschung und Erleichterung. Er hatte nicht einmal gewagt, darum zu beten, dass sein guter Name und der seiner Leute wiederhergestellt werden würde. Das war weit mehr als er von der Gerechtigkeit des
bakufu
erwartet hatte. Doch dann zögerte er und fragte vorsichtig: »Allen, Herr?«
Der Shogun schaute an ihm vorbei und musterte die Gesichter der anderen Ronin. Erschrocken sah er den Grund für Oishis Zögern: In der Nähe der Dame Asano kniete das Halbblut, das letztes Frühjahr im Turnier für Ako gekämpft hatte – der uneheliche Ausgestoßene, den die Samurai von Ako auf seinen Befehl hin mit
bokken
verprügelt hatten. Doch jetzt trug das Halbblut einen Haarknoten und hatte zwei Schwerter im Gürtel stecken:
Er war einer der
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