47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Bei diesem Gedanken flüsterte eine Brise durch das Gras, das um das Grab herum sehr hoch gewachsen war. Es gab keine der Gebetstafeln aus Holz, die normalerweise von Trauernden oder Familienmitgliedern neben dem Grabstein aufgestellt wurden. Keine Opfergaben lagen davor, keine Blumen oder Räucherstäbchen, keine anderen Zeichen der Erinnerung, nicht einmal ein einsamer Stein. Mika sah hinunter und blinzelte viel zu oft, während sie der grausamen Respektlosigkeit von Kiras Männern gewahr wurde und der Angst, die diese den Menschen eingeflößt hatten, deren Leben sie in ihrer Abwesenheit in der Hand gehabt hatten.
Kai ballte die Fäuste, als ihn kurz die Sehnsucht, sie in seinen Armen zu halten, übermannte. Er blieb, wo er war, und sagte sich, dass ihre pure Anwesenheit an diesem Ort ihr Trost spenden würde, und schließlich auch dem Geist ihres Vater.
Was sie heute bei sich trugen, würde Wiedergutmachung leisten für die Zeit, die Fürst Asanos Geist verloren im Wind hatte verbringen müssen – das Jahr, das sie alle verloren hatten – und noch so vieles mehr.
Mika warf einen Blick zurück. Yasuno löste den Speer mit dem gut verschnürten Bündel von Oishis Sattel und reichte ihn Oishi. Dieser nahm ihn mit seiner freien Hand. Sein verbundener Arm war noch immer fast unbrauchbar. Er kniete sich umständlich vor das Grab und legte das Bündel auf das flache Fundament, zog dann den
tantō
aus der Scheide an seiner Seite – den
tantō
, der sowohl seinem Fürsten als auch Kira das Leben genommen hatte – und legte ihn ebenfalls dorthin.
»Ruht jetzt, mein Fürst«, murmelte er. »Ihr seid gerächt.« Er verbeugte sich und senkte den Kopf als letzte Ehrbezeugung bis zum Boden. Dann stand er auf.
Mika kniete ebenfalls vor dem Grab ihres Vaters und verbeugte sich, bevor sie eine Opfergabe aus Frühlingsblumen, die eine der Dorffrauen ihr gegeben hatte, neben Oishis Gaben legte. Sie schloss ihre Augen und flüsterte ein Gebet, das nur ihr Vater hören konnte.
Wie zur Antwort sang der Wind durch die Kirschbäume am Fluss entlang, und eine Wolke aus Kirschblüten senkte sich wie eine Abschiedsgeste sanft auf alle herab.
Mika stand auf und wandte sich an die Männer, die um sie herum warteten. Auf ihrem Gesicht lag Frieden, als wäre ihr Gebet erhört worden.
»Wenn wir aufsehen, schämen wir uns nicht vor den Augen des Himmels«, rezitierte sie und schaute jedem in die Augen, »genau wie wir uns nicht vor den Augen der Erde schämen müssen, wenn wir uns niederbeugen.« Sie verbeugte sich vor Oishi und dann vor den Ronin hinter ihm. Sie sah Kai noch einmal an, und er glaubte, dass der Geist ihres Vaters ihn und alle anderen durch ihre Augen noch einmal anschaute und die Dankbarkeit aller seiner Ahnen hinter sich vereinte.
Einer nach dem anderen knieten die Ronin nieder und verbeugten sich. Wer sich nicht gut bewegen konnte, erhielt Hilfe von den anderen. Yasuno bot Kai seinen Arm. Er hatte ihm schon unterwegs während des langen Rittes aufs Pferd und wieder herunter geholfen, wenn Kais Rücken zu steif war oder dieser zu erschöpft gewesen war, um es alleine zu schaffen. Nach dem langen Gang zur Burg nahm Kai die Hilfe gerne an und sank auf die Knie.
Yasuno kniete neben ihm. Kai dankte in seinem Gebet Fürst Asano für sein Leben, und schloss die Kameradschaft der Männer und Mikas unerschütterliche Liebe mit ein. Er beendete sein schweigendes Gebet und bat, dass seine Dankbarkeit angenommen und ihm seine Liebe zu Mika verziehen wurde.
Nachdem die Männer alles, was zu sagen war, in ihren stillen Gebeten geäußert hatten, setzten sie sich hin, um im Schatten am Flussufer zu ruhen. Die Menschen, die ihnen vom Dorf gefolgt waren und die Zeremonie traurig mit angesehen hatten, durften endlich der Dame Asano und den Ronin etwas zu essen und zu trinken bringen und sie zu Hause willkommen heißen.
Nach einiger Zeit verließ Mika Kai und ging wieder zu Oishi. Kai beobachtete, wie sie aufsaßen und auf das äußere Tor von Burg Ako zuritten. Sie konnten keine Ruhe finden, bis sie nicht gesehen hatten, was aus ihrem früheren Zuhause geworden war.
Die Wachen am Tor sahen ihnen eher neugierig als vorsichtig entgegen. Als die beiden Reiter nah genug waren, um ihre Gesichter zu erkennen, verbeugten die Männer des Shoguns sich respektvoll, als wüssten sie bereits, wer die staubige, sonnenverbrannte Frau in der Männerkleidung und der mitgenommene Ronin mit dem Arm in der Schlinge, waren.
Mika gab sich und
Weitere Kostenlose Bücher