47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Menschlichkeit geschmiedet worden waren, stärker als Eisen gewesen. Weder die Äußerung des Shoguns noch Kais Anerkennung als Samurai durch die anderen Ronin hatten gereicht, um ihn zu befreien.
Samurai hieß
»Dienender«
. Die Ronin hatten ihrem Fürsten auch nach seinem Tod gedient und das nicht nur aufgrund von
giri
– pflichtschuldigem Gehorsam gegenüber einem System, das trotz all seiner Macht seelenlos war. Sie hatten es auch wegen
ninjō
getan – dem Bewusstsein, dass es Dinge gab, die das Herz und die Seele eines Einzelnen so anrühren konnten, dass er sie beschützte und verteidigte, danach strebte und sogar für sie starb. Die meisten dieser Dinge konnte man nicht einmal sehen, geschweige denn kontrollieren oder erzwingen:
Gerechtigkeit. Ehre. Liebe
.
Giri
und
ninjō …
Ordnung und Chaos … die ständig wechselnden Balancepunkte im sich fortwährend drehenden Rad des Lebens
.
Die letzten Wochen erschienen ihm realer als die Schattenjahre, die er zuvor nur mit Überleben verbracht hatte. Als er schließlich an Fürst Asanos Grab kniete, war ihm klargeworden, dass sein Überleben schlussendlich doch einen Zweck gehabt und dass er diesen erfüllt hatte.
Fürst Asanos Seele war frei … genau wie seine Tochter
.
Und er
. Endlich hatte er seinen Frieden mit sich und seinem Leben gemacht. Jetzt konnte er sich der Hoffnung und dem Glauben hingeben, dass hinter jedem Ende wirklich ein neuer Anfang lag … und er würde in seine ungewisse Zukunft mit Fürst Asanos Segen gehen.
Er drehte sich um und entfernte sich schweigend vom Grab, damit Oishi ungestört seine letzten Momente mit dem Geist ihres Fürsten verbringen konnte.
Oishi beobachtete, wie Kai alleine zur Burg ging, und war überrascht, wie aufrecht und stolz seine Haltung war. Sogar sein Humpeln war weniger offensichtlich, als es die ganze Zeit seit dem Kampf mit Kiras Dämonensamurai gewesen war.
Er schaute wieder auf Fürst Asanos Grab und dankte schweigend seinem Herrn, dass dessen Anweisung vor so vielen Jahren einen übereifrigen und verängstigten jungen Krieger davon abgehalten hatte, einen hilflosen – nun, vielleicht nicht ganz so hilflosen – und gleichermaßen verängstigten Jungen zu ertränken.
Es war so leicht, zu töten … er wusste jetzt, wie einfach es im Grunde war und wie unmöglich es war, die Toten wieder zum Leben zu erwecken. Unwillkürlich berührte er mit der Hand seine verletzte Schulter, als erinnere er sich an seinen Kampf mit Kira in dessen Festung. Er hatte sich gefühlt, als hätten Dämonen und nicht göttliche Vergeltung von ihm Besitz ergriffen, während er endlich Fürst Asanos Mörder tötete. Er hatte ihn nicht tapfer oder heldenhaft getötet, sondern mit zielgerichteter Brutalität, die seiner Meinung nach nicht einmal wilde Tiere besaßen.
Er erinnerte sich daran, wie er den Weg des Kriegers in Frage gestellt hatte. Wenn das Überleben in einem Kampf auf Leben und Tod – ganz gleich, ob Mann gegen Mann oder zwischen Armeen mit Tausenden Männern – nur davon abhing, dass man das Leben eines anderen gegen das eigene eintauschte, wieso existierte der Weg des Kriegers dann? Krieg ließ jede Moral zur Lüge werden, aber ganz besonders die des
bushidō
: »Keine Ehrlichkeit auf dem Schlachtfeld«, hatte Sun Tzu gesagt. Und
Mitleid? Gerechtigkeit? Ehre?
Für sie gab es dort genauso wenig Platz wie für Ehrlichkeit.
Und dennoch, wenn ein Krieg endlich vorüber war – und der Angriff auf Burg Kirayama hatte nicht einmal einen Tag gedauert, geschweige denn ein Jahr oder ein ganzes Leben – kehrten die Überlebenden nach Hause zu ihren Familien, Freunden und vollkommen Fremden zurück. Diese hatten inzwischen in einer Welt gelebt, in der das tägliche Leben für die meisten Menschen von dem, was die Kämpfer erlebt hatten, so weit entfernt war wie der Himmel von der Hölle.
Der
bushidō
-Ehrenkodex war nicht dafür geschaffen worden, um Männer das Überleben im Kampf zu lehren, ebenso wenig wie die Ausbildung eines Kämpfers diesen lehren sollte, dass ein sinnloser Tod ehrenvoller war als ein bedeutsamer Sieg.
Bushidō war eine Landkarte
, die einem Mann den Weg nach Hause weisen sollte, nachdem er zu lange in der Wildnis gewesen war. Sie sollte einen Krieger zurück zu seiner Menschlichkeit leiten und ihn daran erinnern, um welche Dinge es sich wirklich zu kämpfen lohnte und wie man wieder in Frieden lebte.
Eine Landkarte war eine Erinnerung, dass selbst ein Blatt Papier zwei Seiten
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