47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
hatte
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Gerechtigkeit und Tapferkeit, Mut und Mitgefühl, Höflichkeit, Respekt, Ehrlichkeit, Ergebenheit … Ehre. Das beschrieb ein erleuchtetes Wesen, oder eines, das der Erleuchtung nahe war. Doch selbst in Friedenszeiten war es für die meisten Menschen unmöglich, diese Richtlinien zu befolgen. Wenn Samurai sich ihres Platzes in der Gesellschaft in Friedenszeiten – also in Zeiten, in denen das beste Schwert das war, das in seiner Scheide steckte – würdig erweisen wollten, dann mussten sie Ehre auf andere Weise definieren. Sie mussten Gutes tun und nicht Leid verbreiten, um ein Beispiel zu setzen.
Oishi verbeugte sich erneut zur Huldigung seines Freunds, Mentors und Fürsten, der ihm den Weg zur Erkenntnis aufgezeigt hatte … zu einem Leben mit aufrichtigem Respekt, Ehrlichkeit und Mut, und nicht nur Getue und Heuchelei.
Bei diesem Gedanken fiel Oishi wieder ein, was Fürst Asano ihm ganz zum Schluss gestanden hatte, als sie zusammen zur Großen Halle gingen: dass er niemals wirklich verstanden hatte, was Buddha mit dem wahren Wert jedes menschlichen Wesens gemeint hatte. Dass er Kai gegenüber versagt hatte. Dass seine Tochter es immer instinktiv verstanden hatte, aber nicht gewagt hatte, ihm ihre Liebe zu Kai zu gestehen und er deswegen ihr gegenüber versagt hatte.
Oishi hatte dies bestritten und jedes Wort so gemeint.
Doch jetzt erkannte er, dass Fürst Asano am Ende durch das offene Fenster der Erleuchtung geblickt hatte. Obwohl es für ihn zu spät gewesen war, in diesem Leben etwas zu ändern, hatte ihn diese Erkenntnis in das nächste begleitet.
Jetzt begriff Oishi, dass sich auch ihm die einmalige Gelegenheit bot, in die richtige Richtung zu schauen. Er hatte das Auge Buddhas gesehen, das seinen Blick erwiderte, und er hatte gerade noch rechtzeitig erkannt, dass er seine Einsicht mit in seine Zukunft nehmen musste … und dafür schuldete er Kai ebenfalls seinen Dank.
Er fragte sich, ob Chikara genau wie Mika Kais Wert instinktiv erkannte hatte, als er selbst ihn nicht sehen konnte. Während der Zeit, die er mit seinem Sohn auf der Heimreise nach Ako verbracht hatte, war er überrascht und beeindruckt von dessen Reife und Verständnis gewesen, die bereits die Lücke der naiven Illusionen füllte, die der Junge über den Ruhm der Schlacht gehabt und nun für immer verloren hatte.
Chikaras größter Wunsch war gewesen, sich als Krieger und Mann in den Augen seines Vaters zu beweisen, und das hatte er auf bewundernswerte Weise getan. Dennoch kam Oishi nicht umhin, zu erkennen, dass sein Sohn noch nicht so alt war wie er, als er beinahe Kai ertränkt hätte. Er fragte sich, was Chikara wohl noch alles erreichen würde, wenn er sein Leben bis zu seinem natürlichen Ende leben könnte.
Und Riku
…
Oishi hatte wie Kai und alle seine Männer darum gebetet, dass er in diesem Leben Lektionen gelernt hatte, die ihm im nächsten Leben einen weiteren Schritt zur wahren Erleuchtung hin erlauben würden.
Und doch ließ er Riku mit nichts als Trauer zurück. Er nahm ihr nicht nur das Glück ihres gemeinsamen Lebens, sondern auch ihr einziges Kind.
Welches Recht hatte er, ihr das anzutun?
Er hatte alles geopfert, um das Ziel zu erreichen, das seine größte Herausforderung und seine größte Pflicht im Leben gewesen war … sogar seine Familie. Pflichtgefühl seinem Fürsten gegenüber hatte immer seine Gedanken beherrscht, weil das für ihn einen Samurai ausmachte. Jetzt, da es zu spät war, bedauerte es das. Er erkannte, dass er mit ein wenig mehr Selbstreflexion ein besseres Gleichgewicht zwischen
giri
und
ninjō
hätte finden können – eines, das ihm Raum gegeben hätte, seiner Liebe für seine Familie Ausdruck zu verleihen und seiner Pflicht ihnen gegenüber genauso nachzukommen wie Fürst Asano gegenüber.
Riku hatte die Dinge immer frag- und klaglos akzeptiert, wie sie waren. Doch als er Zeuge der Verbindung der Seelen von Kai und der Dame Mika auf ihrer Reise nach Ako geworden war, die so gut wie keine Worte benötigte und die mit Worten nicht zu beschreiben war, hatte er nur an Rikus Gesicht bei ihrer Trennung denken können. Er hatte das Gefühl, als wäre er Rikus rechtmäßigem Platz in seinem Herzen gegenüber genauso blind gewesen wie Kais Platz in der Menschheit.
Er hatte die Lehre, die daraus zu ziehen war, erkannt – aber zu spät. Wenn er zur Burg zurückkehrte, würde er versuchen, Riku und Chikara gegenüber seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, obwohl die Worte, die er
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