47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
fleckige Stirn. Die dunklen Augen des Wesens wurden feucht, als wolle es Tränen vergießen, während Kai versuchte, sich an die alten Segensworte zu erinnern, um ihm den Übergang aus dieser Welt zurück ins Reich der Geister zu erleichtern.
Der immense Kopf des
kirin
sank weiter nach unten, bis er bewegungslos auf dem Boden ruhte. Kai konnte sehen, wie die schrecklichen Läsionen, die seinen Körper und Verstand befallen hatten, schimmerten und verschwanden. Es war, als wäre alles nur ein Albtraum gewesen, ein Traum, der endete, nun da der Geist der Kreatur an einem unbekannten neuen Tag wiedererwachen würde.
Kai blickte an sich herab, als das giftige Brennen verschwand, wo er vom Blut des
kirin
bespritzt worden war. Die Flecken auf seiner Haut und Kleidung verfärbten sich von teerfarben zu einem rot mit einem goldenen Schein. Es war dasselbe merkwürdige Strahlen, das das verfilzte, wurmartige Gewirr der Mähne des
kirin
wieder in dichtes goldenes Fell verwandelte.
Er zwang sich, seinen Körper zu bewegen, bis er dem Kopf des
kirin
nah genug war, um das Heft des
katana
zu erreichen. Er ergriff es mit beiden Händen und zog es so sanft wie möglich aus dem Genick der Kreatur.
Doch als er mit dem Schwert in der Hand dastand, merkte er endlich, dass jemand hinter ihm war. Dieser Jemand hatte schon eine ganze Weile dort gestanden und ihn beobachtet.
Er drehte sich um und trat Yasuno gegenüber, der zuerst auf das Schwert in Kais Hand sah und dann in sein Gesicht. In Yasunos Augen loderten Wut und Erniedrigung. Seine Stimme zitterte vor Wut, als er sagte: »Ich wäre lieber von diesem Tier getötet, als von einem Halbblut gerettet worden.«
Kai blickte auf das
katana
hinab und für einen langen Moment sah er es nicht einmal, während er über diese Worte nachdachte. Ohne wieder aufzusehen, verbeugte er sich tief und hielt Yasuno das Schwert hin. »Ich habe nichts getan.« Er sprach die Worte ungewöhnlich gefühlvoll aus, sodass aus der traditionellen Widerrede ein Schweigegelübde wurde.
Yasuno entriss ihm das Schwert, als wäre es seine Seele, die Kai in Händen hielt. Für einen Samurai, wusste Kai, waren beide ein und dasselbe. Aber er wusste nicht, wieso.
Yasunos Blick verfinsterte sich weiter, als sie Pferde kommen hörten – zwischen den Bäumen näherten sich die verbliebenen Samurai. Die Reiter umringten die beiden Männer und das getötete
kirin
und sahen von einem zum anderen. Ihre Augen streiften Kai kaum, obwohl er solche Schmerzen hatte, dass er sich nicht hinknien konnte, wie es die Form gebot. Ihre Blicke ruhten auf dem toten
kirin
, bevor Yasuno, der mit seinem blutigen Schwert in der Hand dastand, zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wurde. Alle nahmen offenbar an, dass er das Biest erlegt hatte.
Fürst Asano lenkte sein Pferd in den Kreis der Samurai. Erleichterung überkam Kai wie ein Schwindelanfall, als er sah, dass sein Herr am Leben und unverletzt war.
Fürst Asano blickte von dem toten
kirin
zu Yasuno und glaubte wie der Rest der Männer, dass der Samurai die Tat vollbracht hatte. Mit dem grimmigen Lächeln eines Kriegers sagte er: »Nun müsst Ihr es nach Hause tragen, Yasuno.«
Die anderen Samurai brachen in Gelächter aus, in dem Erleichterung und Triumph mitschwangen. Alle, bis auf Yasuno, der sich lange genug tief vor Fürst Asano verbeugte, um die Tatsache zu verbergen, dass er nicht einmal lächelte.
»Ako steht tief in Eurer Schuld«, erklärte Asano nun mit ernster Stimme. Er quittierte Yasunos Verbeugung mit einem Nicken. Auf seinem Gesicht lag die gleiche Erleichterung und Bewunderung wie bei den anderen Männern. »Endlich können wir den Shogun ohne Sorge empfangen.«
Der Besuch des Shoguns
. Kai hatte ihn vollkommen vergessen, weil er ihn persönlich nichts anging. Kein Wunder, dass Fürst Asano so sehr darauf bedacht gewesen war, die Jagd heute zu einem Ende zu bringen, und sogar jegliche Vernunft über Bord geworfen hatte.
Kai zog sich langsam zurück. Er achtete darauf, nicht zu stolpern, während er sich durch die berittene Gruppe bewegte, die sich um das tote
kirin
versammelt hatte. Er versuchte, sich wieder unter die Gruppe von Bauern zu mischen, die das Geschehen aus gebührendem Abstand beobachtete, bevor Fürst Asano ihn bemerkte. Er hatte an diesem Tag keine Ehre erworben, aber das hatte er auch nie beabsichtigt.
Nicht hier, nicht auf diese Art
. Er warf einen letzten Blick auf das tote
kirin. Er wollte nur noch verschwinden
.
Aber während er
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