47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
gelegentlich vorbeifliegenden Raubvogel zu sehen war. Und auch unter ihnen zeigten sich nur selten Lebewesen, bevor der Frühling anbrach. Nur wilde Tiere verbrachten freiwillig den Winter in diesen Bergen, und nur wenige Kreaturen, menschlich oder nicht, näherten sich der Burg ohne guten Grund. Kaum ein Mensch wagte es, in die Burg einzudringen. Die Wachen achteten mehr auf die lebensspendende Wärme der Kohlepfannen, an denen sie sich zusammendrängten, als auf irgendetwas anderes.
Die schneeweiße Füchsin kam ungesehen und unangekündigt, wie immer. Sie trottete über den Steinboden der Eingangshalle, und ihr Schatten flackerte im Licht der Fackeln. Ihr Anblick schien sich mit jeder Bewegung zu verändern, aber nicht so sehr, wie sie sich ihre Gestalt mit jedem Schritt veränderte. Als sie den Wohnturm betrat, sahen die Dienstmädchen und Bediensteten nur das, was sie zu sehen erwarteten: Mitsuke, die atemberaubend schöne, sinnliche Gefährtin von Fürst Kira.
Sie konnten nicht anders, als ihr nachzusehen, während sie die Treppe zu den Privatgemächern ihres Herrn hinaufglitt. Sie war so anmutig, dass sie fast über den Stufen zu schweben schien. Wie immer trug sie einen Kimono und darüber eine Robe aus feinstem Stoff, die kunstvoll mit Mustern und Details in den Farben der tiefen, wilden Frühsommerwälder verziert waren. Dort fand sich das Goldgrün des sonnenbeschienenen Grases, das Samtgrün der moosigen Steine am Flussufer, der blaue Himmel, der durch die Blätter der überhängenden Zweige brach.
Sie würde vielleicht niemals ein Wort mit ihnen sprechen und sich weiter unter ihnen bewegen, als wüsste sie gar nicht, dass sie existierten, aber allein sie anzusehen, einen Blick auf ihre verwunschenen Kleider zu werfen, zauberte den Dienstboten behagliches Lächeln aufs Gesicht. Die Farben und Düfte, die Mitsuke umwehten, erinnerten sie daran, dass der Frühling wiederkehren würde, selbst in diese tristen Höhen. Das tat er immer irgendwann, wenn sie sich nur noch ein bisschen gedulden würden.
Sie schien ihren Herrn mit demselben Zauber belegt zu haben, und ihn veränderte sie am stärksten. Wenn sie bei ihm war, verschwand seine mürrische Laune, was eine willkommene Abwechslung zu seinen gewalttätigen Wutanfällen war, die er offenbar am Hofe des Shoguns sehr gut verbergen konnte.
Die Fuchshexe, die die Tür zu Fürst Kiras Privaträumen sanft, aber ohne zu zögern öffnete, machte keine der unterwürfigen Ehrerbietungsgesten, die menschliche Männer von ihren Frauen und
daimyō
sogar von den Samurai, die ihnen dienten, erwarteten.
Ihr Blick glitt durch das von einer Laterne erleuchtete Zimmer und suchte nach dem Herrn, dem sie freiwillig und dazu ergebener und loyaler diente als ein Mensch.
Ihre seltsamen Augen – eines von der tief rostbraunen Farbe des Herbstlaubs, das andere eisblau wie der Winterhimmel – entdeckten ihn ausgestreckt auf den Tatami-Matten unter einer Felldecke liegend. Sie war ebenfalls über eine geschlossene Kohlepfanne gebreitet, die das Herz des Raumes erwärmte, um die Hitze um seinen Körper zu konzentrieren. Mitsuke schlich sich leise wie ein Fuchs an seine Seite und blickte auf den vermeintlich Schlafenden hinab.
Sein schlafendes Gesicht sah so friedlich aus wie das eines Kindes, ganz anders als wenn er wach war, denn dann glühte tief in seinen Augen der Ehrgeiz wie Kohlen. Er war der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Seine erdbraunen Augen, sein glänzendes Haar, schwarz wie die Schwingen eines Raben, seine perfekten Gesichtszüge ... seine zärtliche Hingabe, wenn er sie liebte, als könne er nur so beinahe den wilden Hunger vergessen, der sonst immer an seiner Seele nagte. Sie wusste nicht, welches dieser Dinge – oder vielleicht ihre seltene Kombination – ihr Herz in einem Netz der Leidenschaft gefangen hatten. Sie hatte nicht geahnt, worauf sie sich da einließ, denn es war so unerwartet und selten.
Er war ihrem Zauber in dem Moment verfallen, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte – was ihre Absicht und daher nicht anders zu erwarten gewesen war. Doch dann hatte sie zu ihrer vollkommenen Überraschung, aber nicht zu ihrem Ärger festgestellt, dass dieser Zauber in beide Richtungen gewirkt hatte. Sie glaubte daher, dass er vielleicht in einer früheren Inkarnation selbst ein
kitsune
gewesen war.
Und trotzdem hatten Ebbe und Flut des Qi, die das Schicksal aller existierenden Dinge auf der Erde und selbst im Reich der Götter vorzeichneten,
Weitere Kostenlose Bücher