47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
er auf eine Art geehrt wurde, die nur wenigen
daimyō
zuteilwurde. Das galt besonders für einen »Außenseiter«, dessen Vorfahren sich während der entscheidenden vernichtenden Schlacht neutral verhalten hatten, die dem Tokugawa-Clan den Shoguntitel eingebracht hatte.
Der Asano-Clan hatte sich gegen eine Beteiligung am Kampf entschieden, weil er Verbindungen zu beiden streitenden Parteien hatte und für keinen allein in die Schlacht ziehen wollte. Aber das Gedächtnis der Tokugawa reichte weit zurück, und wenn ein Clan nicht bis zum bitteren Ende für sie gekämpft hatte, dann hätte er ebenso gut auf der gegnerischen Seite stehen können.
Die Fürsten, die sich Ieyasu, dem ersten Tokugawa-Shogun, entgegengestellt hatten, wurden sofort enteignet und zum Tode verurteilt. Danach hatten sich die Nachkommen von Ieyasu Stück für Stück und aus dem geringsten Anlass die Ländereien der Außenseiter einverleibt, die sich neutral verhalten hatten. Diese Ländereien hatten sie zum bereits beträchtlichen Besitz der Tokugawa hinzugefügt oder zur Belohnung an den inneren Kreis der sie unterstützenden
daimyō
vergeben. Aus diesen Clans stammten nun die meisten Würdenträger, die hohe Position in der Regierung innehatten.
Selbst Tsunayoshi, der fünfte Shogun, auf dessen Ankunft sie gerade warteten, konfiszierte immer noch Lehen der
daimyō
, die sich vor hundert Jahren aus dem Krieg, der den Krieg beendet hatte, herausgehalten hatten.
Der Tokugawa-Frieden bedeutete nichts, ohne die nötige Macht, ihn aufrechtzuerhalten:
Nur ein Krieger konnte es sich leisten, ein Pazifist zu sein
. Die Tokugawa hatten sichergestellt, an der Macht zu bleiben, indem sie diese Wahlmöglichkeit aus der Gleichung ausschlossen.
Trotzdem ging der Machtkampf weiter, wie immer. »Politik ist Krieg«, hatte ihr Vater einmal gesagt. »Die Waffen sind nur besser verborgen.« Der Kontrollapparat befand sich in der Burg Edo, sicher in den Hallen des
bakufu
, der Shogunatsregierung. Das
bakufu
hatte Stein auf Stein eine undurchdringliche Festung aus Gesetzen und Restriktionen geschaffen, die so komplex waren, dass der Shogun einen eigenen Berater hatte, der für das Protokoll jedes Besuches beim und vom Shogun zuständig war. Die Berater, die Mika mit ihren unendlichen Haarspaltereien und der ständigen Kritik beinahe wahnsinnig gemacht hätten, während sie den Besuch vorbereitete, waren von ihm geschickt worden – allerdings nicht ohne ein beachtliches »Geschenk« an den obersten Berater.
Mika war inzwischen überzeugt, dass Japan das überregulierteste Land der Welt sein musste.
Daher wusste sie nun noch mehr zu schätzen, dass Ako doppelt gesegnet war: Einerseits durch seine Lage am Meer, mit weit ausgedehnten Küstenebenen, deren fruchtbarer Boden gut für die Landwirtschaft geeignet war, andererseits durch seine isolierte Lage. Es war ein weiter Weg bis in die Hauptstadt Edo, wo das immer wachsame Auge des
bakufu
jeden jederzeit überwachen konnte.
Sie und ihr Vater waren sich einig, dass sie besser dran waren, wo sie waren. Akos reiche Gaben der Natur ermöglichten ihnen, diese kostspielige Zurschaustellung zu bezahlen, die man zu Ehren des Shogunbesuchs von ihnen erwartete. Außerdem erlaubte es ihnen Jahr für Jahr, ihr Volk wohlgenährt und ihre Verteidigung so stark es das Gesetz zuließ zu halten – und dabei auch noch die ständig steigenden Steuerforderungen zu erfüllen.
Mika wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Prozession und ihrem Umfeld zu, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass jemand sie anstarrte. Sie blickte in die Menge der einfachen Bürger und suchte mit den Augen nach Kai.
Sie merkte, dass ihr Beobachter gar nicht so weit entfernt war. Als sie wieder zu ihrem Vater schaute, sah sie den Mann, der zu ihr hinaufblickte. Seiner außergewöhnlich eleganten Zeremonialkleidung nach zu urteilen, an deren Gürtel das Tokugawa-
mon
prangte, nahm er mit Sicherheit einen hohen Rang in der Regierung von Edo ein. Er war ein sehr gut aussehender Mann, fand sie. Früher wäre ihr so etwas gar nicht in den Sinn gekommen, bis sie sich vor einigen Tagen von Kai verabschiedet hatte – vielleicht für immer.
Der Mann sah zu ihr hinauf, als wäre sie Kagura-
hime
– die Tochter des Mondes, die von einem Kaiser geliebt wurde – und er selbst vollkommen verzaubert.
Dann erkannte sie die Farben seiner formellen Hofkleidung und das Oktopus-
mon
auf den Bannern seiner Begleiter:
Es war Fürst Kira
.
Ihr Gesicht wurde so rot wie
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