47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
heute eigentlich nicht das Geringste bedeutet hatte. Aber so konnte er seine rastlosen Gedanken von sich selbst ablenken. Die unerwarteten, widerstreitenden Gefühle, die er zu kontrollieren gezwungen war, brachten ihn näher an den Rand der totalen Erschöpfung als alles andere an diesem Tag. Aber er musste bleiben und so gerade wie Fürst Asano stehenbleiben, wenigstens, bis er den Shogun gesehen hatte. Dann durfte er endlich gehen, weil es nichts mehr gab, das ihn halten würde.
Hunderte von verschnörkelten Laternen erleuchteten den Weg für die Prozession des Shoguns, als sie über die Brücke marschierte und die Burg betrat. Die Pracht der verschiedenen Farben und Muster der Flaggen, Banner und Fahnen seines Gefolges waren atemberaubend. Ebenso die glänzende Kleidung der Höflinge, die nun den Burghof betraten. Ihr Prunk wurde von den Dekorationen der Burg erwidert. Akos leuchtende Clanfarben stachen selbst im Laternenlicht zwischen den Bannern der anderen anwesenden Clans hervor.
Kais Aufmerksamkeit wanderte in alle Richtungen, und er verlor sich wieder in der prächtigen Kulisse. Er sog die wilden Farben und erstaunlichen Muster – Blumen, Bäume, Landschaften, exotische Vögel und ihr Gefieder – auf den Roben der Damen und Herren des Hofes sowie der Frauen und Konkubinen der vielen
daimyō
ein.
Er sah eine junge Frau, an der sein Blick hängenblieb, ähnlich wie Mikas, als sie Fürst Kira erblickt hatte. Kimono und Robe der jungen Frau zeigten nur dezente Verzierungen auf dem in verschiedenen Grüntönen gehalten Stoff. Es waren Farben, die man nur tief im Wald fand – und das nur in den seltenen Momenten, in denen etwas Magisches das Sonnenlicht durch das Blätterdach ließ und es sich auf blühende Büsche, windzerzaustes Gras und die klaren Bäche ergoss. Es schien, als sehe er nicht nur irgendeine Frau, sondern einen Geist aus der Wildnis, der menschliche Form angenommen hatte. Sie hatte etwas beinahe Magisches an sich, fand er. Es war die Aura der Myriaden von
kami
, der Geister, die alle gemeinsam die Seele unberührter, uralter Orte bildeten, wie dem, an dem er seine Kindheit verbracht hatte.
Er blickte auf und sah über ihr nicht den Himmel, sondern das Oktopusbanner des Kira-Clans.
Als hätte sie seinen Blick oder seine Faszination gespürt, blickte die Frau über ihre Schulter. Sie sah ihn direkt an, ohne zu zögern, als wüsste sie genau, wonach sie suchte und wen sie finden würde.
Als ihr Blick seinen traf, durchdrang er seine Gedanken bis tief in seine Seele. Es hatte den blendenden Effekt einer schwarzen Laterne. Doch zuvor konnte er noch erkennen, dass eines ihrer Augen braun und das andere eisblau war.
Der Schreck über diese Erkenntnis brach ihren Zauberbann, und bevor seine Augen sie wieder aussperrten, sagte sein Geist:
Ich kenne dich
...
Als sie sah, wie sich sein Gesicht veränderte, drehte sie sich auf dem Absatz um. Mit einer arroganten Kopfbewegung mischte sie sich unter die versammelten Frauen, wo er sie schnell aus den Augen verlor.
Von dieser Begegnung verstört sah er sich nach Mika um und merkte, dass sie ihn ansah. Zum ersten Mal an diesem Tag hatten sie sich gleichzeitig angesehen, und für einen winzigen Moment trafen sich ihre Blicke.
Aber bevor er überhaupt erkennen konnte, was ihr Ausdruck wirklich bedeutete, gab es einen plötzlichen Aufruhr auf dem Burghof und Mika schaute weg.
Der Shogun selbst war endlich angekommen.
Fürst Asanos Ehrengarde teilte sich und machte Platz für eine Reihe von Reitern, die auf den Burghof kamen. Es war die Eskorte des Shoguns. Die Männer zu Fuß oder zu Pferde trugen die prächtigsten und aufwendigsten Rüstungen, die Kai je gesehen hatte. Ihre schwarzlackierten Platten waren mit safranfarbener Seide zusammengenäht und zeigten das Tokugawa-
mon
prominent in Blattgold auf ihren Brustpanzern. Die Banner und Fahnen, die den Shogun umgaben, zeigten alle nur vorstellbare Variation der Tokugawa-Farben. Sie trugen allesamt das
mon
mit den drei Malvenblättern in einem Kreis, deren Enden sich wie Speerspitzen in der Mitte trafen.
Wenig überraschend war der Shogun die eindrucksvollste Erscheinung von allen. Seine schwarze Rüstung war beinahe vollkommen mit Gold bedeckt. Die Platten waren dekorativ mit roter und goldener Seide zusammengenäht und an seinem großen Helm befanden sich goldene Strahlen, die wie Speerspitzen und Nadeln geformt waren und sein
mon
in ein Bild der aufgehenden Sonne verwandelten. Er ritt ein riesiges
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