47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
selbst Kira keine solche Furcht vor der Rache von Fürst Asanos Burgvogt haben – nicht, wenn seine Männer in alle vier Himmelsrichtungen verstreut waren und sein eigenes Leben in Trümmern lag.
Aber plötzlich erinnerte er sich an die Erkenntnis, die er ganz zu Beginn seiner Haft über Kira gehabt hatte: Kira war ein Feigling. Und ein Feigling fühlte sich niemals wirklich sicher.
Eine der Wachen stieß ihn an, als er einfach nur dastand und die Dorfbewohner und die Welt betrachtete, die er so lange nicht gesehen hatte. Oishi stolperte vorwärts, als Chikara ihn nicht länger halten konnte, und fiel vor den Augen aller in den eisigen Matsch.
Die Anspannung der Dorfbewohner wuchs, sie erwarteten offenbar, dass er wieder auf die Füße kam und seinen Ärger zum Ausdruck brachte.
Stattdessen stemmte er sich hoch, bis er schließlich kniete und erniedrigte sich vor den Wachen, indem er sich verneigte, bis seine Stirn den Schlamm berührte. »Bitte schlagt mich nicht mehr«, murmelte er.
Seine Demütigung verdoppelte sich, als er seinen Kopf hob und Chikaras Gesicht sah – sein Zorn auf die Wachen verwandelte sich erst in Unglauben, dann in Entsetzen, als er seinen Vater sprachlos ansah.
Die Wache wandte sich mit einem verächtlichen Schnauben ab und ging durch die Tore in die Burg hinein, die einmal sein Heim gewesen war. Das Durchgangstor schlug zu und schloss Oishi aus seinem früheren Leben und dem Platz, der ihm in der Welt zustand, aus.
Oishi rührte sich nicht von der Stelle, an der er gefallen war, und blieb wie ein Bettler sitzen, mit hängenden Schultern, den Kopf nach wie vor unterwürfig gesenkt. Das Urteil der Menge lastete auf ihm wie das Gewicht der Steinplatte, die sein Gefängnis so lange verschlossen hatte, als mehr und mehr Gesichter ihren Ausdruck der Hoffnung verloren und ihre Mienen sich in Abscheu verwandelten.
Ein stämmiger Bauer kam arrogant auf ihn zu, als sei Oishi ein
hinin
, spuckte auf ihn und ging davon. Die anderen Dörfler folgten dem Mann, einzeln und in Grüppchen, als Oishi nichts weiter tat, als im Schlamm zu sitzen, zitternd wie ein geschlagener Hund.
Aber dann kam jemand anders auf ihn zu und kauerte neben ihm, um ihm Schlamm und Speichel mit dem Saum eines abgetragenen Kimonos vom Gesicht zu wischen. Er sah verwirrt auf und erblickte seine Frau neben sich. Es war wirklich Riku gewesen, die er gesehen hatte, im erdfarbenen Kimono einer Bauersfrau, ihr Haar von einem Tuch bedeckt und nicht länger kunstvoll mit schönen Nadeln und Kämmen aufgesteckt. Und doch besaß ihr Gebaren eine Anmut und Würde, die ihr niemand hatte nehmen können.
Er wandte sich ab, denn er konnte die Liebe, den Kummer, der ihr das Herz zerriss, und das Mitgefühl in ihrem Gesicht nicht mehr ertragen.
Chikara trat vor und half ihm vorsichtig auf die Beine. Als Riku ihn in die Arme nehmen wollte, sah er an den beiden vorbei Kiras Mann, der noch immer in einiger Entfernung stand und jede seiner Bewegung beobachtete.
Er stieß seinen Sohn und seine Frau mit einer Bewegung voll zorniger Selbstverachtung von sich. »Rührt mich nicht an! Bleibt fort von mir!«
Er taumelte und schaffte es kaum, das Gleichgewicht zu halten, als er von der Burg Ako fortstolperte – ohne eine Idee, wo er hinwollte, außer dass er von diesem Ort fortwollte, von der Vergangenheit, die ihm verschlossen war wie das Burgtor. Fort von dem Albtraum, aus dem er endlich erwacht war, aber der ihn wie die Erinnerungen an Tod und Verrat und der Verlust von allem, was er mit großem Stolz beschützt und behütet hatte, für immer verfolgen würde.
Und besonders wollte er fort von dem Fremden dort, der ihn nach wie vor nicht aus den Augen ließ.
Riku und Chikara holten ihn ein. Sie blieben erst dicht hinter ihm, um sich dann einige Schritte zurückfallen zu lassen, während er über die Brücke dem Dorf entgegenstolperte, das direkt hinter der Außenmauer der Burg begann.
Als er das Dorf betrat, sah er überall, dass sich alles zum Schlechten verändert hatte. Die Läden und Häuser bedurften der Reparatur, überall lag Unrat auf der Straße, und die Leute in ihren geflickten Lumpen wichen seinem Blick aus, als er an ihnen vorbeiging. Um diese Menschen zu schützen, hatten er und seine Männer ihr Leben geopfert, nicht, indem sie gestorben waren, sondern indem sie sich selbst der Schande und den Härten eines Lebens als Ronin ausgeliefert hatten.
Der beißende Geruch von schlimmeren Dingen als Unrat hing wie eine Dunstglocke
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