47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
Das hier war ein Spiel ... Es war nicht
shōgi
, sondern
go
, die subtilste Kampf zwischen Verstand und Willensstärke.
Er war nicht der erste Gefangene, den man in dieses Loch geworfen hatte. Oishi konnte sich allerdings nicht erinnern, ob zu seinen Lebzeiten jemals jemand hier eingesessen hatte. Wie hatten die anderen überlebt? Hatte überhaupt einer der anderen überlebt?
Wenn die Antwort
nein
war, schwor er einen stummen Eid, dass er der Erste sein würde. Aber das Überleben wäre bedeutungslos, wenn er den Verstand verlor. Wenn er sich damit aufhielt, über die Vergangenheit nachzudenken und über alles, was er durch Kira verloren hatte, dann hatte er bereits aufgegeben. Sich Sorgen um die Menschen zu machen, die er versucht hatte, zu beschützen, war ebenso gefährlich. Er musste sich auf die Zukunft konzentrieren. Er musste glauben, dass es eine Zukunft geben würde, für die es sich zu leben lohnte. Und was auch immer passierte, er blieb ein Samurai, auch wenn Kira und der Shogun ihn seiner Position und seiner Schwerter beraubt hatten.
Kira hatte Fürst Asano getötet. Das war so sicher, als hätte er ihm selbst das Messer in den Rücken gerammt. Und dann hatte er sichergestellt, dass seine Offiziere nicht einmal das Recht hatten, ihren Herrn zu rächen. Wenn Fürst Asanos Tod ungerächt blieb, würde seine Seele auf der weltlichen Ebene verharren und war nicht in der Lage, aufzusteigen. Und alle, die er je geliebt hatte, saßen ebenso in der Falle, jeder auf seine eigene Weise. Aber Fürst Asano wäre auf alle Ewigkeit gefangen.
Es gab einige Dinge, die kein menschlicher Herrscher seinem Volk verwehren konnte – und eins davon war Gerechtigkeit. Oishi hatte gelernt, dass selbst die Götter litten, wenn Ungerechtigkeit den Fluss allen Seins aus dem Gleichgewicht brachte. Es war der Wille der Götter, dass die Balance wieder hergestellt werden musste – egal wie lange es dauerte, oder was es kostete.
Die Götter sollten seine Zeugen sein: Er würde das Instrument ihres Willens werden, egal welche Gesetze der Menschen er brechen musste, egal wie lange es dauern würde und egal was es kostete.
Shōgi
und
go
waren Strategiespiele, die von den Menschen gespielt wurden, als wären sie Götter. Der sicherste Weg zu gewinnen, war, hundert Schritte voraus zu planen, auch wenn man gerade erst den ersten Zug tat. Und er hatte alle Zeit der Welt ...
10
Der kahle Kirschbaumzweig vor dem Fensterschlitz von Oishis Verlies war mit Reif überzogen. Oishi selbst saß zusammengekauert in der Ecke seines Kerkers. Die Arme hatte er fest um seinen Körper geschlungen, sowohl um sein Zittern unter Kontrolle zu bringen, als auch, um seine Hände warm zu halten, denn in seinem Gefängnis war es beinahe ebenso kalt wie jenseits des Fensters. Er hatte seine Rüstung schon vor einer Weile den Ratten überlassen, denn es war unmöglich, darin auf dem harten Steinboden zu schlafen.
Die Ratten hatten alle Lederriemen und Seidenbänder, die die gewölbten Steinplatten zusammenhielten, eifrig aufgefressen. Inzwischen bedauerte er, sie geopfert zu haben, denn vielleicht hätte die Rüstung ihn wärmer gehalten. Aber jetzt lagen ihre Überreste überall in der Zelle verstreut, nachdem er sie in den ersten Tagen seiner Gefangenschaft, als er noch die Kraft besessen hatte, seinem Zorn und seiner Verzweiflung freien Lauf zu lassen, gegen die Wand geschleudert hatte.
Nach Monaten der Haft und der kargen Rationen – die er mit seinen Gefährten, den Ratten, teilte – hatte er nur noch so wenig Kraft übrig, dass kaum eine Bewegung der Mühe wert schien. Er hatte zunächst versucht, Übungen zu machen, um bei Kräften zu bleiben, später, um warm bleiben. Inzwischen verbrauchte sein Körper die wenige Energie, die er noch besaß, mit Zittern.
Wenigstens hatten die Ratten endlich ihren Frieden mit ihm geschlossen – sie nagten nicht mehr an ihm oder fraßen Löcher in seine Kleidung, während er schlief. Sie waren beinahe zu seinen Freunden geworden. Aber sie waren jämmerliche Gesprächspartner.
Aber das war er mittlerweile auch: Er war so ruhig und still geworden wie die Dunkelheit, die ihn umgab. Immerhin vermittelte ihm der Kirschbaumzweig, der einzige Beweis, dass die Welt da draußen noch existierte, ein Gefühl dafür, wie lange er schon hier war – auch wenn er sich nicht mehr sicher war, ob das Segen oder ein Fluch war. Er wusste mittlerweile nicht mehr, ob er noch lange genug leben würde, um Fürst Asano rächen zu
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