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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Größe die Gebäude und Menschen winzig wirkten. Das Shogunat verbot den Bau jeglicher Schiffe, die so groß und seetüchtig waren, dass man damit das Risiko eingehen konnte, auf hohe See hinauszufahren. Damit sollte sichergestellt werden, dass weder Ausländer ins Land hineinkamen, noch Japaner von dort fliehen konnten.
    Er sah wieder hinab und fand sich plötzlich von finster aussehenden
gaijin
umringt, die ihm jeden Fluchtweg abschnitten. Ein Mann mit einer langläufigen Pistole in der Hand, der sein Skelett außerhalb seines Körpers trug, schob sich durch den Kreis der Männer hindurch und blieb vor ihm stehen.
    Oishi hörte unwillkürlich auf zu atmen. Er schloss die Augen und wandte sich ab, bevor die volle Obszönität der Szenerie ihm die Seele aussaugte:
Das
waren
Dämonen. Wie konnte das sein? Keiner hatte ihm gesagt

    »Einer von der Insel … tätowiert wie ein Skelett!«
Plötzlich tauchten diese Worte in seiner Erinnerung auf. Er öffnete die Augen und erwiderte den Blick, gerade als spöttisches, kaum unterdrücktes Gelächter um ihn herum aufbrandete.
    Er zwang sich, den Fremden direkt und mit weit geöffneten Augen anzusehen: Es war nur ein Mann, auch wenn sein Gesicht weder japanisch noch europäisch schien.
»Irgendwo aus dem Süden Chinas – ein
Kannibale
«
, erzählte man sich.
    Nichtsdestotrotz starrte der Insulaner ihn direkt an, mit intelligenten braunen Augen, die nur allzu menschlich waren. Der Mann war von Tätowierungen bedeckt, die so Übelkeit erregend waren, dass es Oishi schwerfiel, seine Augen nicht vom Gesicht des anderen abzuwenden. Es sah aus wie ein fleischloser Schädel, obwohl seinen Mund ein amüsiertes Lächeln umspielte.
    Oishi hatte schon Tätowierungen gesehen, bei den Verbrechern der Yakuza waren sie üblich. Aber trotz der Männer, die sie trugen, waren es oft Kunstwerke – Porträts berühmter Helden, prachtvolle Drachen, wunderschöne Frauen mit Blumen.
    Kein Mensch von Verstand würde die Innereien einer Leiche offen zur Schau tragen. Jeder, der solche Obszönitäten auf dem Körper trug, würde festgenommen oder getötet werden. Ein toter Körper war unrein und besessen von Geistern. Selbst der niederste Stand der Arbeiter, die sich der Toten annahmen, war unberührbar.
    Aber das Gesicht dieses Wilden, sein rasierter Kopf, sein nackter Körper und seine Arme trugen aufgemalte Knochen, Muskeln und die Sehnen einer verfaulenden Leiche zur Schau – schlimmer noch, die einer Leiche, die mit aasfressendem Ungeziefer und hungrigen Geistern verseucht war. Oishi fragte sich, ob er das getan hatte, um andere einzuschüchtern, oder ob ein Kannibale diesen Anblick schön finden konnte.
    Oishi richtete seinen Blick auf die Augen des Mannes, die nicht so undurchschaubar waren wie sein Verstand. Es waren die Augen eines durchtriebenen, gefährlichen Richters der menschlichen Natur, dessen Wissen um die Außenwelt das seine bei Weitem übertraf.
    In kaum verständlichem Japanisch fragte der Tätowierte: »Was willst du hier?« Er richtete seine Pistole auf Oishis Brust.
    »Ich suche nach jemandem«, erwiderte Oishi. Er brachte es fertig, klar und mit wesentlich mehr Selbstvertrauen zu sprechen, als er tatsächlich empfand. Er rieb mit dem Daumen seine Finger, wie er es oft bei Spielern gesehen hatte – ein Zeichen, das scheinbar »Geld« bedeutete.
    Der Tätowierte gab ein Grunzen von sich, das wohl ein Lachen sein sollte, und hob seine Pistole, um sich den Lauf auf die Schulter zu legen. Er bedeutete Oishi mit einem Kopfnicken, ihm zu folgen.
    Oishi blieb nichts anderes übrig, als ihm tiefer in diesen Sumpf der Verwahrlosung und schließlich eine steile Planke hinauf zu folgen, die ihn auf eines der riesigen Schiffe brachte, die in den schmalen Zwischenräumen zwischen den dicht beieinander gelegenen Piers lagen.
    Sie betraten das Innere des Schiffs, und der Insulaner führte ihn durch ein Labyrinth enger Gänge und finsterer, stinkender Räume. Oishi hatte sich in seinem Leben durchaus schon verloren gefühlt, aber das war nichts im Vergleich zu der Orientierungslosigkeit, die er nun empfand.
    Gerade als er vom Skelett-Mann verlangen wollte, ihn zurückzubringen, hielt dieser plötzlich vor einer großen Tür an, die sich nach innen öffnete. »
Kapitan
«, sagte er, öffnete die Tür und schob Oishi hinein. Die Tür schlug hinter ihm zu.
    Die Kabine war klein und erfüllt von düsterem, blaugrauem Licht: Oishi konnte den stechenden Geruch von Tabakrauch erkennen. Tabak

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