47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
kostbarste Besitz eines seiner Ahnen gewesen war.
Oishi hatte die beiden zueinander passenden Stichblätter auf seinen eigenen Schwertern getragen, bis der katastrophale Besuch des Shoguns und seine bevorstehende Wiederkehr ihn eines Besseren belehrt hatten. Nun dankte er den Göttern dafür, ihm so viel weise Voraussicht geschenkt zu haben. Chikara hatte das andere Stichblatt des Paars verkauft, um ihnen Pferde und Proviant zu besorgen und die Rückkehr seiner Mutter zu ihrer Familie zu bezahlen. Das hier war das letzte Erbe ihrer einst so stolzen Familie, das letzte Artefakt seiner Ehre.
Der
kapitan
beugte sich ein Stück vor. Sein Blick schien in Oishis Gesicht nach etwas zu suchen. Die blassblauen Augen des Holländers waren wie Eisstücke, so grausam und seelenlos wie das gefrorene Meer. »Das Halbblut muss ein guter Freund von Euch sein, wenn Ihr das hier aufgebt.«
Oishi erwiderte nichts. Sein Mund wollte die Wahrheit hinausspeien. Sie brannte in seiner Kehle, als er sich selbst zwang, sie hinunterzuschlucken. Wenn die Götter noch mehr Opfer – vor dem größten Opfer von allen – von ihm forderten, bevor sie seine Gebete erhörten, würde er ihnen nichts mehr zu bieten haben.
Der
kapitan
beugte sich noch weiter über den Tisch, sodass er aus den Schatten hinaustrat und drohend über ihm aufragte. Oishi unterdrückte den Drang, aus Ekel und Furcht zurückzuweichen.
»Abgemacht«, sagte der
kapitan
mit einem plötzlichen, unerfreulichen Grinsen. »Darauf trinken wir.« Erneut füllte er beide Schalen mit Sake.
Diesmal leerte Oishi seine in einem Zug. Er konnte es kaum erwarten, diese Tortur hinter sich zu bringen und von der Insel herunterzukommen, bevor die Wache auf der Brücke wechselte. »Ihr werdet mich jetzt zu ihm bringen.«
Der
kapitan
sah von seiner Schale auf. »Werde ich das?«, fragte er mit einem verächtlichen Lächeln. »Ihr Japaner und Euer Stolz.«
Er wies mit einer Hand auf Oishis abgetragene und fadenscheinige Kleidung und sein ungekämmtes, ungeschnittenes Haar. »Selbst in diesen Lumpen wagt Ihr es, mir Befehle zu erteilen wie ein Fürst! Lasst mich Euch eines sagen: Es mag uns nicht gestattet sein, japanischen Boden zu betreten, weil wir sonst unsere Handelsrechte verlieren, aber diese Klinge ist zweischneidig. Das hier ist holländisches Gebiet, und hier bin ich der Shogun. Ich werde Euch zu ihm bringen, aber unter meinen Bedingungen.« Das Grinsen kehrte auf sein Gesicht zurück.
»Und er mag Euch verändert vorkommen.«
Das Brüllen einer aufgepeitschten Menge und das Grunzen eines Tiers, das Oishi nicht einmal identifizieren konnte, drang an sein Ohr, lange bevor er wieder echtes Licht sah. Er folgte dem Tätowierten durch das Innere des Schiffs. Der Insulaner vor ihm trug nur eine kleine Laterne, aber hinter ihnen waren diesmal mehr Männer, die mit Pistolen oder Schwertern bewaffnet waren. Sie bewachten ihn auf die gleiche Art, wie seine Leute sie auf dem Festland bewacht hätten. Der
kapitan
hatte recht – hier war er der Ausländer, der
gaijin
.
Das Gefühl war nicht angenehm, und es wurde mit jedem Schritt schlimmer. Er hatte immer stärker den Verdacht, in eine Falle geführt zu werden.
Der Korridor machte eine scharfe Biegung, und die Rufe der Menge wurden ganz plötzlich lauter. Vor ihm befand sich ein eisernes Gitter, das von mehreren Ausländern bewacht wurde. Oishi sah über die Schulter, doch es war zu spät: Er saß in der Falle. Jemand hinter ihm stieß ihn grob nach vorn, und Oishi ächzte, als er gegen das Gitter schlug.
Hinter dem Gitter konnte er eine Arena ausmachen – seine die Dunkelheit gewohnten Augen konnten sie so klar erkennen wie am helllichten Tag, aber sie glich in keiner Weise dem Kampfboden, auf dem die Duelle in der Burg Ako ausgefochten wurden. Diese hier war auf allen Seiten von einem Eisenkäfig eingeschlossen und machte den größten Teil eines Lagerraums aus. Außerhalb des Gitters befand sich ein johlender, schreiender Mob von Ausländern, die sich auf provisorischen Tribünen drängten oder sich zwischen die hölzernen Wände des Schiffes und den Käfig gezwängt hatten. Die harten Wände und der geschlossene Raum warfen den Lärm zurück, bis er dröhnte wie die Glocke in einer Tempelhalle.
Oishi hatte geglaubt, der Gestank draußen sei schlimm, aber in diesem abgeschlossenen Raum, in dem die Hitze der zusammengepferchten Leiber und Dutzender Laternen hinzukamen, wurde er unerträglich. Er hielt sich an den Gitterstäben fest,
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