47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
zu rauchen, war eine aufdringliche ausländische Gewohnheit, die nicht einmal der Shogun hatte unterdrücken können. Aber obwohl – oder gerade weil – der Raum derart mit dichtem Rauch gefüllt war, konnte Oishi zuerst nicht erkennen, ob wirklich jemand außer ihm dort war.
Schließlich glimmte die übergroße Form einer ausländischen Tabakspfeife auf, als jemand in den Schatten einen tiefen Zug nahm.
Oishi konnte beinahe das Gesicht des Mannes erkennen, als es kurz im rötlichen Licht aufflackerte – groß und aufgedunsen wie ein gerade aufgegangener Mond in all den wirbelnden Rauchschwaden zwischen ihnen – bevor sich die Schatten um ihn herum wieder schlossen.
»Ihr seht aus, als wärt Ihr weit gereist«, meinte eine Stimme mit starkem Akzent. Das Timbre war so tief und bedrohlich wie die Dunkelheit, die sie umgab. Aber als sich Oishis Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah er ein Paar großer Hände Sake in zwei traditionelle japanische Schälchen gießen. »Trinkt.« Die Hände schoben eine der Schalen über die Oberfläche eines hüfthohen Tischchens in seine Richtung. Den Tisch bemerkte er erst jetzt, da sich die Schale darüberbewegte.
Oishi hob die Schale auf und trank, mit den zurückhaltenden Schlucken eines Gastes, der sich zu benehmen wusste, anstatt sie in einem Zug zu leeren, wie es seine Nerven forderten. Wer oder was auch immer dieser Mann sein mochte, er hatte Geschmack genug, den richtigen Schnaps zu trinken. Er beobachtete, wie die Pfeife des Holländers wieder aufglühte und die Finsternis kurz erleuchtete. Er hatte keine Ahnung, wie er das Gespräch beginnen sollte, und so zwang er sich, still und schweigend zu warten, bis der
gaijin
selbst das Wort ergriff.
»Also«, sagte der
kapitan
schließlich. »Warum seid Ihr gekommen?«
Sein Japanisch war besser als das des Wilden, auch wenn Oishi immer noch genau hinhören musste, um die Worte zu verstehen.
»Ich suche nach jemandem, der Euch verkauft wurde«, sagte er und achtete darauf, seinerseits so klar wie möglich zu sprechen, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.
»Es gibt Hunderte von …«
»Ein Halbblut«, unterbrach ihn Oishi.
Der
kapitan
schwieg einen Herzschlag lang. Daran erkannte Oishi, dass der Mann genau wusste, von wem die Rede war. Sein Puls beschleunigte sich, als ihm klar wurde, dass Kai vielleicht noch am Leben war.
»Das
half-bloed
ist eine Menge Geld wert«, erklärte der
kapitan
schließlich.
»Ich werde ihn zurückkaufen.« Oishi zog einen Beutel aus dem Ärmel seines Kimonos und ließ ihn über den Tisch gleiten. Seine Augen konnten im Halbdunkel des Raums jetzt mehr erkennen. Die Kabine war nur vom Mond erhellt, der durch ein kleines, rechteckiges Fenster fiel. Er konnte den Gesichtsausdruck des
kapitan
nicht ausmachen.
Der
kapitan
streckte die Hand aus. Ihre Größe erschien Oishi monströs. Sie war mit Tätowierungen und Strangmarken bedeckt, und sie war schmutziger, als seine eigenen es am Tag seiner Freilassung gewesen waren. Oishi fand es schwer zu glauben, dass sie menschlich waren. Es verwunderte ihn kaum, dass die Ausländer als Dämonen verschrien waren.
Der
kapitan
zog etwas aus dem Beutel, den er ihm hinübergeschoben hatte, und hielt es hoch. Als er die Silhouette des Gegenstands erblickte, wurde Oishi auf einmal schmerzlich bewusst, wie schön er war. Gleichzeitig überwältigte ihn ein Gefühl des Verlusts. Es war das exquisit gearbeitete, überaus detailliert verzierte Stichblatt eines Schwertes, wie sie heute nicht mehr hergestellt wurden.
»Das gehörte einem Samurai«, sagte der
kapitan
. Aus dem Tonfall seiner Stimme las Oishi, dass er das Alter des Stichblatts erkannt hatte und auch seinen Wert. Als ihn der
kapitan
wieder ansah, konnte Oishi endlich sein Gesicht sehen. Die Geringschätzung in den Augen des Mannes machte deutlich, dass er Oishi nicht für einen Samurai hielt, sondern bestenfalls für einen wertlosen Ronin – und dass der
kapitan
annahm, er müsse gestohlen oder sogar gemordet haben, um an so eine Beute zu gelangen.
Er biss die Zähne zusammen, um sich selbst davon abzuhalten, den Holländer für seine Arroganz zu verfluchen. Das Stichblatt war in seiner Familie über Generationen hinweg weitergegeben worden. Er hatte selbst keine Ahnung, wie alt es genau war oder was aus der Klinge geworden war, zu der es ursprünglich gehört hatte. Es war eines von zweien, alles, was von einem zueinander passenden Paar von Schwertern geblieben war, die einst der
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