47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
wollen also sehen, ob wir in diesem unterirdischen Asyl schlafen können.“
Darauf wurde es still. Emilia lauschte noch eine Weile, bekam aber keine Silbe mehr zu hören.
„Sie sind zur Ruhe gegangen“, sagte sie zu sich selbst. „Wer aber sind sie? Cortejo und seine Tochter Josefa jedenfalls. Welch eine Entdeckung mache ich da! Sie haben sich nach hier geflüchtet, und der Pater hat ihnen ein Asyl geboten. Was aber die Hauptsache ist, Juarez kommt nach der Hacienda. Dort kann ich ihn treffen, um ihm die hier gefundenen Geheimnisse mitzuteilen. Zwar sollte ich eigentlich nach hier vollbrachter Arbeit schnell nach der Hauptstadt gehen, aber ich habe keinen zuverlässigen Boten, dem ich so wichtiges anvertrauen dürfte. Ich bin also gezwungen, mich selbst nach der Hacienda zu begeben.“
Sie kehrte jetzt zu ihrer Arbeit zurück. Sie schrieb und kopierte noch eine lange Zeit, bis endlich diese Aufgabe vollendet war.
Schon wollte sie den Raum verlassen, da fiel ihr Blick auf die Kisten, welche da standen. Sie hielt den Schritt zurück und fragte sich:
„Was soll ich hier tun? Diese Kisten enthalten Reichtümer, welche meiner Ansicht nach dem Staate, also Juarez gehören. Am allerwenigsten hat der Pater das Recht, sie zu besitzen. Ich könnte mich an ihnen bereichern, aber das wäre ja Diebstahl, und eine Diebin bin ich nicht. Ich werde mich also an diesen Schätzen nicht vergreifen, Juarez aber davon Mitteilung machen, sobald ich ihn treffe.“
Sie brachte alles wieder in den früheren Stand und kehrte nach ihrem Zimmer zurück. Die Aufregung, welche sich ihrer bemächtigt hatte, ließ sie nicht schlafen, sie traf die Vorbereitungen einer heimlichen Abreise. –
Bereits am frühen Morgen war der Pater wach. Er ging, um Cortejo und dessen Tochter den Morgenimbiß zu bringen. Er mußte dabei an Emilias Tür vorüber. Das Mädchen hatte die Schritte gehört und trat aus der Stube, um zu sehen, wer der Nahende sei.
„Ah! Schon munter, meine schöne Señorita?“ fragte er.
„Ja, Señor“, antwortete sie.
„Habt Ihr nicht gut geschlafen?“
„Sogar sehr gut, aber ich erwachte früh, weil ich mir einen Morgenspaziergang vorgenommen hatte.“
„Daran tut Ihr recht wohl. Überlegt Euch dabei die Antwort, welche Ihr mir nach Ablauf der festgesetzten Frist geben werdet.“
„Sie wird sehr überraschend sein Señor“, sagte sie freundlich.
Er fühlte sich von ihrem Ton sofort bezaubert und fragte, indem er ihre Hand ergriff, um sie zu küssen:
„Sie wird günstig ausfallen, Señorita?“
„Jedenfalls!“
„Ich meine natürlich günstig für mich!“
„Wartet das ab! Man darf nicht zu viel auf einmal erfahren wollen!“
Bei diesen Worten aber ließ sie ihm einen leisen Druck der Hand fühlen, der ihn mit der Hoffnung des Glückes erfüllte.
„O, Señorita, ich kenne die Antwort bereits“, sagte er, indem sein Antlitz vor Freude erglänzte. „Ihr braucht mir gar nichts zu sagen.“
Damit ging er. Kaum aber war er um die Ecke des Ganges verschwunden, so eilte sie nach seiner Tür. Der Schlüssel stak; sie war also nicht verschlossen. Emilia trat ein und brachte die gestern entwendeten Schlüssel wieder an ihre Stelle. Dann kehrte sie auf ihr Zimmer zurück.
Einige Augenblicke später verließ sie dasselbe. Sie trug ein ziemlich ansehnliches Paket in der Hand, was aber niemand bemerkte, da es noch früh am Tag war und die meisten der Klosterbewohner noch schliefen.
Sie begab sich in die Stadt hinab, und zwar zu einem Pferdebesitzer.
„Ihr verleiht Pferde?“ fragte sie diesen.
„Ja, Señorita“, antwortete er. „Wollt Ihr spazieren reiten?“
„Nein, ich habe eine Reise vor.“
„Weit?“
„Ziemlich weit. Ich will den Ort geheim halten. Könnt Ihr schweigen?“
„Ich bin gewohnt, bezahlt zu werden und dann zu schweigen.“
„Ich werde Euch pränumerando bezahlen. Ist Euch die Hacienda del Erina bekannt?“
„Ja. Wollt Ihr dorthin?“
„Dorthin ja.“
„Das ist eine Reise von mehreren Tagen. Welche Begleitung habt Ihr?“
„Keine. Ich bin allein.“
„Dann seid Ihr eine sehr mutige Dame. Soll ich für Begleitung sorgen?“
„Zwei Männer werden genügen.“
„Ganz wie Ihr denkt. Wann soll es fortgehen?“
„Möglichst sofort.“
„Ich gebe Euch zwei meiner Knechte mit. Es sind sichere Leute. In einer halben Stunde werden sie fertig sein.“
„Ich bekomme natürlich Damensattel?“
„Das versteht sich ganz von selbst!“
„Nun gut! Hier dieses Paket
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