47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
sich in das Coupé hinein und befahl:
„Bitte aussteigen. Aber schnell!“
„Das geht nicht“, antwortete der Oberst. „Wir sind –“
„Weiß schon“, unterbrach ihn der Beamte. „Heraus! Heraus!“
„Donner und Doria!“ rief da Ravenow. „Wissen Sie, daß ich Leutnant Graf von Ravenow bin!“
Der Beamte leuchtete ihm mit einer Laterne in das Gesicht und antwortete mit überlegenem Achselzucken:
„Schön. Sie sehen ganz wie ein Graf aus. Steigen Sie endlich aus, sonst werde ich Gewalt anwenden müssen.“
„Unser Gepäck –“, wollte der Oberst sagen.
„Wird alles besorgt. Heraus damit, ihr Leute!“
Die beiden früheren Offiziere mußten heraus. Sie wurden einstweilen gar nicht angehört, sondern in einem sicheren Zimmer bewacht. ‚Geierschnabel‘ blieb bei dem Vorsteher, welcher die Wegnahme des Gepäckes überwachte.
„Schöne Sachen!“ lachte einer der Arbeiter. „Da ist wahrhaftig eine alte Posaune! Hurrjesses, diese Knillen und Löcher! Welch ein Elend muß es sein, diese alte Karline brummen zu hören.“
„Und hier ein Sack“, meinte der andere. „Das ist der richtige Beweis, daß diese Kerle Spitzbuben sind. Gehört eine Posaune und so ein Sack in die erste Klasse. Na, der Trödel, welcher da drin stecken wird.“
Sie hielten ‚Geierschnabels‘ Gepäck für das Eigentum der beiden anderen und er gab sich keine Mühe, sie über den richtigen Sachverhalt aufzuklären. Als das Coupé geleert war, rollte der Zug von dannen, die Effekten der beiden Offiziere mitnehmend, da sie sich nicht im Coupé, sondern unter dem Passagiergut befunden hatten.
„Bitte wollen Sie mir folgen, Herr Kapitän?“ bat der Vorstand und geleitete ihn in seine Expedition, wo er ihn einlud, sich niederzusetzen.
‚Geierschnabel‘ tat dies und zog seine übrigen Papiere hervor.
„Ich will meine Legitimation vervollständigen“, sagte er. „Haben Sie die Güte, Einsicht zu nehmen.“
Der Beamte las die Dokumente durch. Er fühlte sich von Respekt durchdrungen. Ein Bekannter des berühmten Juarez! Nur eins kam ihm sonderbar vor: die Kleidung dieses berühmten Mannes. Daher sagte er:
„Hier Ihre Papiere zurück, Herr Kapitän. Es genügt der zuerst gelesene Paß; ich sehe nun aber, mit welch einem Herrn ich zu tun habe. Würden Sie mir eine Frage gestatten?“
„Sprechen Sie.“
„Selbst wenn diese Frage zudringlich erscheint?“
„Ich werde antworten.“
„Warum kleiden Sie sich nicht Ihrem Stand gemäß?“
Da machte ‚Geierschnabel‘ eine sehr wichtige, geheimnisvolle Miene, legte die Hand an den Mund und antwortete:
„Inkognito.“
„Ah, so! Man soll nicht wissen, wer Sie sind?“
„Nein. Darum der Sack, das Futteral und die Posaune.“
„Ah, diese sind Ihr Eigentum?“
„Ja; ich reiste als Musikus.“
„Ich begreife.“
„Ich hoffe, daß mein Inkognito bei Ihnen nicht Gefahr läuft.“
„Ich habe gelernt, zu schweigen. Darf ich nun vielleicht um Ihren Bericht bitten?“
„Ich gebe Ihnen denselben zwar kurz aber gern. Ich komme von Mainz. Als ich dort in ein Coupé erster Klasse stieg, saß der Mensch darin, welcher der jüngere der beiden ist. Er gab sich für einen Grafen aus und fing Händel mit mir an. Ich vermute, daß er ein französischer Spion ist, der mir folgt, um mich auf alle Weise zu verhindern, bei Herrn von Bismarck zu erscheinen, zu welchem ich von Juarez geschickt werde.“
„Wir werden dafür sorgen, daß diesem Herrn Franzosen alle weitere Lust zu Intrigen vergeht.“
„Ich hoffe es. Also, er fing Händel mit mir an, und ich gab ihm einige Ohrfeigen.“
„Recht so.“
„Freut mich, daß Sie mir beistimmen. Leider aber stieg er unterwegs aus, gab sich für einen Grafen aus und mich für einen Vagabunden. Der dortige Stationsvorsteher besaß nicht Ihren Scharfblick und Ihre Menschenkenntnis. Ich wurde festgehalten, den anderen aber ließ man weiterfahren.“
„Welch ein ungeheure Albernheit“, rief der geschmeichelte Beamte. „Man sieht doch sofort beim ersten Blick, daß Sie ein einflußreicher Mann inkognito sind. Weiter.“
„Der sogenannte Graf hatte sich nur durch eine Visitenkarte legitimiert; mich hörte man gar nicht an. Aber als ich später meine Dokumente vorlegte und erklärte, daß ich eine Konferenz versäume, zu welcher Bismarck mich erwarte, fühlte sich dieser gute Vorsteher geradezu niedergeschmettert. Eigentlich beabsichtigte ich, ihn bestrafen zu lassen, aber er gab so gute Worte, daß ich davon absah. Ich
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