47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
Vorsprung groß genug, um uns zu beruhigen.“
„Haben Sie Pferde?“
„Ja, ein paar Prachttiere. Wir werden fliegen wie die Falken. Leider aber sind wir zu einem großen Umweg gezwungen.“
„Warum?“
„Denken Sie sich! Da ist in Reinosa eine Schar von über tausend Freiwilligen aus den Vereinigten Staaten gelandet. Sie wollen zu Juarez und haben alle Haciendas besetzt, welche zwischen hier und Marin liegen. Wir müssen, um nicht auf sie zu treffen, bis zum Rio del Tigre hinab und um Monterrey herum, so daß wir anstatt von Norden, von Osten her auf die Hacienda gelangen.“
„Das ist schlimm. Haben wir diese Leute wirklich so zu scheuen?“
„Gewiß, Señor. Kennt man Sie hier zu Land persönlich?“
„Ja.“
„Nun, es ist anzunehmen, daß Juarez diesen Freischaren Truppen entgegensendet, um sie an sich zu ziehen. Unter diesen Truppen könnten Männer sein, welche Sie kennen. Übrigens bestehen diese Freischaren aus lauter geschulten Jägern, welche anders aufzupassen gewohnt sind, als die Mexikaner. Es geht wirklich nicht anders. Ihre Sicherheit erfordert es, diesen Umweg zu machen.“
„Wieviel Zeit verlieren wir dadurch?“
„Zwei Tage.“
„Das ist viel, sehr viel! Wir müssen sofort aufbrechen!“
„Halt, nicht sofort! Ich habe da Proviant mitgebracht. Wir wollen zunächst etwas essen. Sodann lege ich Ihnen neues Wundkraut auf, und dann können wir in den Sattel steigen. Wenn man im Begriff steht, zwei volle Tage zu verlieren, so kommt es auf eine weitere halbe Stunde nicht an.“
Obgleich Cortejo sich sehr leidend fühlte, schmeckten ihm die mitgebrachten Tortillas (kleine Maiskuchen) recht gut. Der leere Magen erhielt Nahrung und kaum hatte die Arbeit des Verdauens begonnen, so war es dem Kranken, als ob eine ganz neue Kraft durch seinen Körper gehe. Dieses wohltuende Gefühl machte ihn zu einer kurzen Unterhaltung aufgelegt.
„Sie nahmen es mir gestern übel, als ich nach Ihrer Familie fragte?“ begann er.
„Übelnehmen? O nein! In der Wildnis hat ein jeder das Recht, Auskunft zu verlangen; nur schien mir diese Auskunft nicht so notwendig zu sein, wie der Verband Ihrer Wunden.“
„So darf ich heute auf meine Fragen zurückkommen?“
„Ich habe nichts dagegen.“
„Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen sagte, Ihr Name sei mir bekannt?“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Haben Sie vielleicht Verwandte, welche noch leben?“
„Nein.“
„Ah, so ist alles weitere Fragen nutzlos.“
„Warum?“
„Hätten Sie einen Verwandten, welcher Seemann ist, so würden Sie mein – – –“
„Seemann?“ unterbrach ihn der Jäger schnell. „Wie kommen Sie darauf?“
„Weil ich einen Seemann kenne, welcher Grandeprise heißt.“
„Lebt er noch?“
„Ja.“
„So ist es der nicht, den ich meine. Ich habe nämlich in Wirklichkeit einen Verwandten gehabt, welcher Seemann war.“
„Und auch Grandeprise hieß?“
„Nein. Er hieß anders; aber er legte sich diesen meinen Namen bei, um mich zu blamieren und um meinen moralischen Kredit zu bringen.“
„So läßt sich vermuten, daß er diesen Namen nicht mit Ehren trug?“
„Allerdings. Er war Pirat – Seeräuber.“
„Donnerwetter!“ rief Cortejo. „Was Sie sagen, Seeräuber?“
„Ja, Seeräuber, Sklavenhändler, alles mögliche.“
„Diente er an Bord eines Schiffes oder war er selbst Kapitän?“
„Er war Kapitän.“
„Wem gehörte das Schiff?“
„Wer weiß es.“
„Wie hieß das Schiff?“
„Der ‚Lion‘ war sein Name.“
„Wirklich? Wirklich? Ah! So ist es doch der Mann, den ich meine.“
„Sie haben diesen Kapitän gekannt?“
„Ja.“
„Im guten oder im bösen?“
„Wie man es nimmt“, antwortete Cortejo vorsichtigerweise.
„Hatte er nicht noch einen Beinamen?“ fragte der Jäger.
„Ja. Er wurde der schwarze Kapitän genannt.“
„Wahrhaftig. Sie kennen ihn. Hatten Sie vielleicht auch eine Rechnung mit ihm auszugleichen, geradeso wie ich?“
Diese Frage sagte, daß der Jäger seinem Verwandten nicht freundlich gesinnt gewesen sei; darum antwortete Cortejo frisch darauf los:
„Allerdings. Diese Rechnung ist heute noch nicht ausgeglichen.“
„Verzichten Sie darauf, sie ins gleiche zu bringen. Er lebt nicht mehr.“
„Wissen Sie das genau?“
„Seine Leiche habe ich nicht gesehen, aber er ist tot. Ich habe ihm nachgeforscht, wie einer nur immer zu suchen vermag, Tag und Nacht, mit Haß und Rache im Herzen. Ich bin auf seiner Fährte gewesen jahrelang; aber,
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