47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
gefährlich!“
„O nein. Ich habe genug Leute unter meinen Truppen, welche unternehmend genug sind, eine solche Aufgabe zu lösen. Übrigens ist von einer Gefahr gar nicht die Rede. Selbst wenn man einen dieser Boten auffangen und seinen Brief öffnen sollte, enthält dieser ja nur lauter Privatnachrichten, welche dem Überbringer nicht schaden können.“
„So muß ich in dem Schreiben von Ihnen schweigen.“
„Auch das ist nicht nötig. Was kann der Bote dafür, daß der Absender sich bei mir befindet?“
„Das ist allerdings wahr. Darf ich Ihren Vorschlag annehmen, Señor?“
„Ich bitte Sie, es zu tun.“
„Wann darf ich da schreiben?“
„Sogleich, wenn es Ihnen möglich ist. Sobald wir an das Lager kommen, werde ich mir zwei Mann auswählen, welche sofort nach den genannten Orten aufbrechen können. Schreiben Sie also sogleich, Señor.“
Sternau folgte dieser Aufforderung. Papier war nebst den nötigen anderen Schreibrequisiten vorhanden. Der Brief lautete:
„Meine Lieben und Teuren
Mit heißen Tränen im Auge schreibe ich diese Zeilen nieder. Es sind Freudentränen, welche ich vergieße bei dem Gedanken, welche Freude, welches Entzücken dieses unerwartete Lebenszeichen daheim hervorrufen wird.
Habt Ihr meine Schrift sofort erkannt, als Ihr das Kuvert erblicktet? Fast glaube ich, das Schreiben verlernt zu haben, da meine Hand beinahe zwei Jahrzehnte lang weder Feder, noch Stift berührte. Es war eine lange Zeit, eine qualvolle, trostlose Ewigkeit, welche nun hinter uns liegt. Ausgesetzt und gefangen auf einer kleinen, einsamen Insel des Ozeans, haben wir ärmlicher und hilfloser gelebt, als Robinson Crusoe, den doch das Wrack des Schiffes mit Waffen und anderen Hilfsmitteln versah.
Wir haben nach Rettung geschrien, wie der Sünder im Fegefeuer nach Erlösung schreit. Fast schien es, als ob alle unsere Gebete erfolglos seien, als ob es keinen Gott gäbe, welcher die Stimme des Jammers vernehmen will. Da endlich, endlich erbarmte sich der Allgütige unser und sandte uns zu unserem Retter einen Mann, welchen auf Erden zu sehen wir nicht für möglich gehalten hätten.
Wer alles mit auf unserer Insel war? fragt Ihr. Ich nenne Euch nur Mariano, Helmers und seinen Bruder Anton. Die übrigen sind Euch nicht bekannt, und ein ausführlicher Bericht ist auch nicht der Zweck dieser Zeilen. Wer unser Retter war? Graf Ferdinande de Rodriganda, der Totgeglaubte.
Rätsel auf Rätsel, nicht wahr? Ich werde sie Euch baldigst lösen. Jetzt befinden wir uns wieder in Mexiko bei Juarez. Amy und Lord Lindsay sind da. Mariano ist entzückt, die Geliebte zu besitzen. Gott, wäre doch auch mir dies Glück beschieden.
In Amys Kajüte hängen zwei Porträts, das meiner Rosa und auch das meines – Waldröschens. Ich habe vor ihnen auf den Knien gelegen, und wenn Gott wirklich Gott ist, so wird er mein Gebet erhören und Euch so viel Glück mehr gewähren, als ich Gram und Leid erdulden mußte.
Allem Anschein nach befinden wir uns auf dem Heimweg; aber es gibt hier noch einige Aufgaben zu lösen, bevor wir Mexiko verlassen können. Es gilt, das Geheimnis von Rodriganda aufzuklären und die Schuldigen zu bestrafen; dann kommen wir alle zu Euch nach Rheinswalden.
Amy hat mir erzählt, welche ungeahnte Veränderung daheim vorgegangen ist. Ich habe einen Vater. Gott, welch ein Glück, welch eine Freude! Mutter grüße ihn tausend und abertausend Mal von mir! Nicht, daß er ein Herzog ist, macht mich so glücklich, sondern der Gedanke, daß Dein Herz ein zweites gefunden hat, an das es sich stützen und lehnen darf.
Wie gern möchte ich Euch bitten mir zu schreiben, aber wo sollte mich Eure Antwort treffen, wenn sie überhaupt noch während meiner Anwesenheit nach Mexiko gelangte? Begnügen wir uns also mit diesem Lebenszeichen und der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen.
Rosa, mein heißgeliebtes teures Weib, du Wonne meiner Seele, du Bild meines Wachens und meiner Träume mehrere Tausende von Wochen lang, ich flehe Dich an, leg Deine Hände auf das Haupt unseres Kindes und gib ihm an meiner Stelle den Vatersegen. Möge jede Träne, welche ich vergoß, jeder Seufzer, den ich in die Lüfte hauchte, sich für Röschen in eine Stunde des Glückes verwandeln. Meine Hand zittert und mein Herz bebt, indem ich dieses schreibe. Meine ganze Seele ist ein einziges und inbrünstiges Gebet für Euch, die ich nimmer wiederzusehen erwarte und deren Antlitz mir nach so langem Sehnen doch noch entgegenleuchten wird.
Grüße
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