48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko
Schüsse bedeuten.“
„Wie ruft man die Leute am schnellsten zusammen?“
„An der Tür des Speisesaales hängt eine Glocke. Läutet sie, so werden alle sich dort einstellen.“
Gerard befolgte den Rat und sah einen Bewohner der Hacienda nach dem anderen dort im Saal erscheinen. Die meisten waren mit Lichtern versehen. Auch Resedilla kam. Als sie ihn erblickte, eilte sie mit einem Freudenruf auf ihn zu und sagte:
„Gott sei Dank, daß ich dich sehe! Ich hatte große Angst um dich!“
„Warum?“ fragte er sie liebevoll.
„Wir hörten die Schüsse, wir suchten, ich kam in dein Zimmer und fand dein Gewehr. Die Läufe waren leer und du warst fort. Bist du es, der geschossen hat?“
„Ja.“
„Warum?“
„Sogleich. Warte, bis alle beisammen sind.“
Dies dauerte nicht lange, und dann erzählte Gerard das Ereignis.
„Was für ein Raum liegt unter meinem Zimmer?“ fragte er den Haziendero.
„Die Küche“, antwortete dieser.
„Wohnen alle Eure Vaqueros im Haus?“
„O nein. Die meisten kampieren des Nachts bei den Herden.“
„Bleibt eine Magd des Nachts in der Küche?“
„Nein“, antwortete Marie Hermoyes. „Die Küche ist leer und verschlossen. Ich habe den Schlüssel bei mir.“
„War das Fenster geöffnet?“
„Ja, damit die Hitze abziehen könne.“
„Glaubt Ihr, daß irgendein Vaquero des Nachts einsteigen werde, um sich irgend etwas zu holen?“
„Nein. Unsere Vaqueros haben alles, was sie sich wünschen. Sie brauchten nicht zu stehlen, und ich kenne keinen, den ich für fähig halte, es zu tun.“
„Ich frage nur, um ganz sicher zu gehen und nichts aus dem Auge zu lassen. Es gilt zunächst, zu sehen, ob die Küche noch verschlossen ist.“
Man begab sich in das Parterre und da ergab sich, daß die Tür nicht geöffnet worden war. Marie Hermoyes wollte öffnen und eintreten, aber Gerard hielt sie zurück.
„Halt!“ sagte er. „Wir müssen vorsichtig sein. Wartet hier, Señora Marie. Wir werden erst nach dem Hof gehen, um zu sehen, was dort zu bemerken ist.“
Es wurden Laternen angebrannt. Da durch das Küchenfenster zuweilen Wasser auf den Hof geschüttet wurde, so war unter demselben die Erde erweicht. Als Gerard hinleuchtete, fand er die ganz deutlichen Tapfen eines Mannes, welcher hier aus- und eingestiegen war.
„Es stimmt“, sagte er. „Dieser Mensch ist nicht durch die Tür in die Küche gekommen. Er ist kein Vaquero, denn ein solcher trägt anderes Schuhwerk. Der Mann, von welchem diese Spur stammt, hat einen kleinen Fuß und trägt feine Stiefel. Ich werde mir nachher diese Spur auf Papier aufzeichnen. Man kann nicht wissen, wozu ein solches Modell nützlich ist. Jetzt aber wollen wir in die Küche gehen.“
An der Küchentür angekommen, ließ er öffnen, gebot aber, daß alle gleich an der Tür stehenbleiben sollten. Es galt, zu erfahren, was der Mann hier gewollt hatte.
Er trat ein, den anderen voran, und untersuchte jeden Zollbreit des steinernen Bodens, ohne ein Wort zu sagen. Dann leuchtete er in allen Winkel und auf den Tischen umher und gebot endlich Marie Hermoyes, nachzusehen, ob irgend etwas entwendet sei.
Sie fand alles in der größten Ordnung und sagte:
„Ich begreife nicht, was der Mensch hier gewollt hat. Wir werden das wohl auch nicht erfahren.“
„O“, meinte Gerard, „ich hoffe, daß wir es binnen zwei Minuten wissen. Wer ist zuletzt in der Küche gewesen, Señorita?“
„Ich.“
„Habt Ihr da vielleicht ein kleines Fläschchen in der Hand gehabt?“
„Nein.“
„Hm. Ist Euch nicht ein Fläschchen bekannt, auf welches dieser Stöpsel passen würde?“
Er bückte sich nieder und hob einen kleinen Kork empor, welcher in der unmittelbarsten Nähe des großen Wasserkessels am Boden lag. Marie wollte ihn in die Hand nehmen, um ihn genauer betrachten zu können, er aber sagte:
„Halt! Vorsicht! Man kann in solchen Dingen nie zu vorsichtig sein. Ihr könnt den Stöpsel so auch sehen.“
„Wir haben gar kein so kleines Fläschchen“, entschied Marie.
„Hm!“ brummte er nachdenklich vor sich hin, indem er den Kork noch einmal in das Auge faßte. „Dieser Stöpsel ist noch feucht und der Teil, welcher durch den Hals des Fläschchens zusammengedrückt wurde, ist trotzdem noch nicht im geringsten aufgeschwollen. Ich wette meinen Kopf, daß dieser Kork noch vor einer halben Stunde in dem Fläschchen gesteckt hat. Der Fremde hat ihn verloren und entweder gar nicht gesucht, oder in der Finsternis nicht
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