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48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko

48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko

Titel: 48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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aus. Er schlang die Arme um sie, drückte sie fest und innig an sich und sagte:
    „Gott segne dich für dieses Wort! O, nun bin ich ein ganz anderer Kerl! Nun tausche ich nicht mit Sternau oder Mariano, mit keinem einzigen Menschen! Mögen sie mich immerhin den ‚Kleinen André‘ nennen. Ich fühle mich jetzt auf einmal so groß, so groß, daß es mir gar nicht einfallen kann, einen von ihnen zu beneiden.“
    Da schob sie ihn leise von sich, maß unter einem glücklichen Lächeln seine Gestalt, zog ihn wieder an sich heran, sodaß sie wieder Brust an Brust standen und sagte: „Messen wir uns einmal, lieber André. Bin ich etwa länger als du?“
    Er verglich ihre Höhe mit der seinigen und meinte ganz erstaunt:
    „Wahrhaftig, ich bin noch einen Zoll länger als du. Wer hätte das gedacht!“
    „Du siehst, daß der Schein trügt. Wir Frauen sehen größer aus als wir sind. Wir passen sehr gut zusammen. Nicht?“
    „Außerordentlich gut. Ich bekomme Respekt vor mir selber. Und nun sollst du sehen, daß auch die anderen den gleichen Respekt haben sollen. Die Liebe ist doch ein wunderbares Ding, ich glaube, daß sie gar imstande sein wird, aus dem ‚Kleinen André‘ einen großen Kerl zu machen.“ – – –
    Einige Zeit später hielt der wieder zu seinen Ehren und Würden gelangte Präsident Juarez seinen Einzug in der Hauptstadt Mexikos. Es herrschte ein unbeschreiblicher Jubel unter der Bevölkerung, als der Zapoteke, welcher einst zur Flucht gezwungen gewesen war, aber trotzdem seinen starren Mut nicht verloren und auf seinen Titel verzichtet hatte, nun als Retter des Vaterlandes in der Stadt einritt. Alle Straßen waren mit Ehrenpforten, Girlanden und Flaggen geschmückt, und ein wahrer Regen von duftenden Blumen flog auf ihn und das Pferd, welches ihn trug, und mit stolzen Schritten über die lieblichen Kinder Floras hinwegtänzelte.
    Aber am ersten Tag nach seinem Einzug hatte sich der laute Jubel in eine stille Erwartung umgewandelt; Juarez begann zu sichten. In unerbittlicher Gerechtigkeit untersuchte er diejenigen, welche seit dem ersten Tag der französischen Invasion eine Rolle gespielt hatten, nach ihrem patriotischen Wert. Er begann die Schafe von den Böcken zu scheiden und das Gewürm von dem Baum der nationalen Wohlfahrt zu schütteln. Tausende fühlten sich im Besitz eines bösen Gewissens. Viele entflohen heimlich, als sie sahen, wie ernst es dem Präsidenten war. Wo es möglich war, ließ er Gnade walten, aber wo er erkannte, daß Milde nicht angewandt oder gar für das Allgemeinwohl gefährlich sei, da ließ er sich von seinem Herzen nicht hinreißen, sondern strafte mit jener einsichtsvollen Unnachsichtigkeit, welcher man es dankbar anmerkt, daß sie nicht aus Persönlichkeit und Eigennutz entspringt.
    Da er selbst eine beinahe ruhelose Tätigkeit entfaltete, so dauerte es nur kurze Zeit, bis in allen Abteilungen des Regierungsmechanismus die größte Ordnung herrschte, und so kam es, daß er selbst von denjenigen Regierungen, welche vorher mit Napoleon geliebäugelt hatten, als Herrscher des mexikanischen Reiches anerkannt wurde.
    Eines Spätabends, als die Bewohner der Hauptstadt im Schlummer lagen, näherten sich der letzteren von Norden her ein Reiterzug. Der Mond schien hell, und so konnte man erkennen, daß derselbe aus mehreren Gefangenen und ihrer Eskorte bestand. Die ersteren waren sorgfältig gefesselt und auf ihre Pferde gebunden. Zwei Maultiere trugen eine Art von Sänfte, aus welcher fast ununterbrochen das Wimmern einer weiblichen Stimme erscholl, um das sich die Begleiter aber nicht im geringsten kümmerten.
    Dieser Trupp erreichte die Stadt, ritt durch einige Straßen und hielt dann vor dem Regierungsgebäude, an dessen Tor die Reiter der Eskorte sich von ihren Pferden schwangen. Einer von ihnen trat ein und wurde von dem wachhabenden Posten gefragt, was er wolle und wen er bringe.
    „Ist der Präsident noch wach?“ lautete die kurze Gegenfrage.
    „Ja. Er arbeitet alle Nächte bis zum Anbruch des Morgens.“
    „So lassen Sie mich melden. Ich heiße Sternau.“
    „Sternau? Hm. Man darf niemand melden. Der Präsident will ungestört sein. Kommen Sie am Tag wieder.“
    „Ob und wann ich wiederkommen soll, haben nicht Sie zu bestimmen. Sie haben mich melden zu lassen, und der Präsident wird mich empfangen.“
    Diese Worte waren in einem so befehlenden Ton gesprochen, daß der Posten gehorchte, ohne einen weiteren Einwand zu wagen. Es dauerte auch nur kurze Zeit, so

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