49 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 01 - Verschwörung in Stambul
konnte nicht bleiben, ich mußte bezahlen und gehen. Draußen aber beim Nachbar blieb ich stehen, mir scheinbar die ausgelegten Waren betrachtend. Da trat auch sie heraus, erblickte mich und ging nun ganz hart an mir vorüber.
‚Komme nicht nach!‘ flüsterte sie.
Jetzt mußte ich hinter ihr her und raunte ihr zu: ‚Wenn du mir morgen sagst, wo ich dich treffen kann!‘
Und als ich dann stehenblieb und sie an mir vorüberließ, antwortete sie: ‚Ich werde es dir sagen.‘
Also hielt ich Wort und folgte ihr nicht. Natürlich war ich außerordentlich gespannt, ob nun auch sie Wort halten werde, und wirklich, sie kam. Aber der Kaufmann hatte Lunte gerochen, er gab uns keine Gelegenheit, ein Wort zu sprechen. Sie aber hatte sich darauf vorbereitet und ließ so, daß ich es sehen mußte, einen Zettel fallen. Natürlich entfiel mir nun mein Taschentuch, und ich hob beides auf.“
„Was enthielt der Zettel?“
„Hier ist er. Lies!“
Hermann schob dem Freund den Zettel hin. Darauf stand in lateinischen Lettern, aber türkischer Sprache:
„Hermann Wallert Effendi! Komm heute um zehn Uhr nach dem großen Begräbnisplatz zwischen Mewlewi Hane und Topdschilar Keni. Ich bin in der Ecke nach Nordwest unter dem Efeu.“
„Wie? Sie kennt deinen Namen? Das heißt den Namen, den du hier führst?“
„Nicht wahr, rätselhaft?“
„Äußerst. Doch das wird sich aufklären. Um zehn Uhr ist nach türkischer Zeitrechnung zwei Stunden vor Sonnenuntergang. Du willst in Frauenkleidern gehen?“
„Nein. Als Frau allein über den Meeresarm zu setzen und dann den weiten Weg bis zum Begräbnisplatz zu gehen, das würde auffallen. Wir besuchen einfach den Kirchhof und nehmen den Anzug mit. Geht es ohne Gefahr, so bleibe ich in dieser meiner Kleidung; ist es aber geratener, so ziehe ich dort den Frauenanzug an. Der Begräbnisplatz gleicht einem Wald. Da gibt es allemal eine verborgene Ecke, um sich dort unbemerkt umkleiden zu können.“
„Auf alle Fälle halte ich Wache. Wenn wir jetzt aufbrechen, kommen wir gerade kurz vor der angegebenen Zeit hin. Denkst du nicht?“
„Ja. Rollen wir also den dünnen Anzug wie ein Plaid zusammen; dann läßt er sich ganz unauffällig an einem Riemen tragen.“
Bereits nach einigen Minuten saßen sie in einem Kaik, um sich über das Goldene Horn setzen zu lassen.
Diese Kaiks sind lange, schmale, sehr leicht und schnellruderige Boote, in denen man meist nur nach orientalischer Gewohnheit, das heißt mit untergeschlagenen Beinen, sitzen kann. Der Kahn, den die beiden Freunde nahmen, war für mehrere Personen eingerichtet und zufälligerweise der einzige, den es hier an dieser Stelle des Ufers gab.
Eben tauchten die beiden Kaiktschi, wie die Ruderer genannt werden, ihre Ruder in das Wasser, um vom Land zu stoßen, als ein Mann mit beschleunigten Schritten sich ihnen näherte. Er winkte zu warten und fragte, als er die Landungsstelle erreicht hatte:
„Meine Herren, würden Sie mir wohl gestatten, mit einzusteigen? Ich möchte gern überfahren, und dies ist der einzige Kaik, den ich in diesem Augenblick hier sehe.“
Er trug einen vollständig türkischen Anzug. Darum wunderten sich die beiden beinahe, daß er seine Bitte im reinsten Französisch ausgesprochen hatte. Seine hohe, breitschultrige Gestalt ließ auf eine große Körperkraft schließen. Sein Anzug war mit echten Borten verziert, und aus seinem Gürtel sahen die goldbesetzten Kolben zweier Pistolen und der mit edlen Steinen ausgelegte Griff eines Messers. Er schien also reich zu sein. Man konnte ihn auf vielleicht dreißig Jahre schätzen. Sein Gesicht war bleich, aber nicht von einer krankhaften Farblosigkeit. In den großen, dunklen Augen lag Geist und Leben, und ein starker, sehr gut gepflegter Schnurrbart gab ihm ein kriegerisches Aussehen. Der Fremde konnte als ein seltenes Beispiel männlicher Schönheit gelten. Er trug keine Handschuhe, und so sah man am kleinen Finger seiner rechten Hand einen Solitär von bedeutender Größe glänzen. Dieser Diamant allein repräsentierte ein nicht unbeträchtliches Vermögen.
Seine Bitte wurde natürlich erfüllt, und er stieg ein.
Während der Fahrt wurde kein Wort gesprochen, aber es war zu bemerken, daß der Blick des Fremden eigentümlich forschend auf Hermann Wallert ruhte.
Als sie jenseits ankamen, hatte er bereits eine Börse gezogen und bezahlte die Kaiktschis. Wallert wollte eine Einwendung dagegen erheben, doch der andere wies sie mit einer energischen Handbewegung
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