5 1/2 Wochen
„Nürnberg 175 km, Santiago de Compostela 2600 km“ auf einer Tafel steht.
Der erste Gang des Abendessens besteht aus Möhrensalat mit viel braunem Essig und einer Pastete. Da lass ich mal die Finger von und bleibe beim trockenen, aber köstlichen Brot. Der zweite Gang sind Bratkartoffeln mit Fleisch. Ich zieh mich an den Bratkartoffeln hoch, ich brauch nicht mehr zu meinem Glück. Das Fleisch lass ich den anderen. Franz-Josef und Gabi haben mir gegenüber Platz genommen und sorgen liebevoll dafür, dass mein Teller nie leer, Ruddi satt wird und ja keine einzige Kartoffel zurück in die Küche geht.
Um uns herum sitzen die anderen Pilger und Urlauber. Kurz bevor wir den Nachtisch serviert bekommen betreten zwei zirka 60 Jahre alten Männer das Esszimmer. Einer von ihnen sieht aus, als wäre er auf ein wildes Tier gestoßen. Die Kleidung ist sehr verschmutzt und sein Gesicht hat Schürfwunden, besonders an der ziemlich prägnanten Nase. Der andere ist zwar auch dreckig, aber nicht verletzt. Ob die sich geprügelt haben? Wir erfahren, dass sie sich ganz böse verlaufen und aus den fünf Kilometern ungefähr zwanzig gemacht haben. Sie wurden in Saint Jean Pied de Port schon in die Irre geführt und sind in die entgegengesetzte Richtung gegangen. Nachdem sie das feststellt hatten, gingen sie zwar in die richtige Richtung, aber den falschen Weg. Daraufhin nahmen sie Feld- und Wiesenwege und mussten auch des Öfteren über Zäune klettern. Dabei ist der eine der beiden dann gestürzt und hat sich eben verletzt. Ja, ja, aller Anfang ist schwer. Man muss sich erst daran gewöhnen, die in Frankreich noch rot-weißen Wegweiser, zu sehen und ihnen zu folgen.
Der Haus-und-Hof-Hund darf, nachdem die Sonne untergegangen ist, auch ins Haus und lässt Ruddi, den ich an meinem Stuhl angeleint habe, keine ruhige Minute mehr. Dauernd läuft er um ihn herum. Meiner fühlt sich zu recht belästigt und muckt auf. Der mit Heimvorteil gibt aber trotzdem keine Ruhe. Mann, das ist anstrengend und unruhig für alle. Die anderen Gäste sind auf Ruddi’s Seite. Er verteidigt lediglich seinen einzigen Quadratmeter, den er an diesem Abend hat. Irgendwann fällt es auch der Wirtin auf und sie holt ihren Hund in die Küche. Stört mich persönlich nicht, aber ob das die optimale Lösung ist, wage ich zu bezweifeln. Ein paar Gäste finden das unmöglich. Naja, ich hab da nichts mit zu tun, meiner sitzt neben meinem Stuhl und hat endlich Ruhe.
Den ganzen Abend gibt es Rotwein aus der Region bis zum Abwinken. Da langen wir alle mal so richtig hin und so ist der Abend sehr lustig und beschwingt. Franz-Josef und seine Frau hoffen, dass wir uns nicht so bald aus den Augen verlieren. Bevor die Pilger das Haus verlassen, zahlen sie ihre Rechnungen, damit sie am Morgen zu früher Stunde loslaufen können.
Zurück in meinem Zimmer. Ich muss an die bayerischen Mädels denken. Ich habe sie den ganzen Tag nicht mehr gesehen. Schneller als ich sind sie also nicht. Ruddi schläft am Fußende des Bettes, nach meiner liebevollen Massage und zehn minütigen Reiki-Sitzung, völlig entspannt, auf seiner Decke. Kaum liege ich, wohl bemerkt im trockenen, frisch und komplett bezogenen Bett inklusive Zudecke, bin ich auch schon eingeschlafen. Der Schlafsack hat heute frei.
Mittwoch, 16. April 2008
Honto/Untto (50 Einwohner), 500 m üdM, franz. Baskenland
2. Etappe bis Roncesvalles, 16,6 km
Morgens gegen 5.30 Uhr stehe ich auf, also mitten in der Nacht. Ich habe sehr gut geschlafen. Als ich aus dem Bett springen will, schalte ich, ohne zu kuppeln, einen Gang zurück. Ich habe einen ordentlichen Muskelkater. Die beste Medizin dagegen heißt Bewegung, also: nicht jammern, weitermachen. Es ist kalt und ich bin ganz schnell angezogen. Ich packe meinen Rucksack direkt komplett ein, damit ich pünktlich um 8.00 Uhr für die Rückfahrt nach Orrison fertig bin.
Ob es heute ein „richtiges“ Frühstück gibt? Ich gehe mit Ruddi über die Straße ins „private Wirtshaus“ und treffe auf Gabi und Franz-Josef. Der Tisch ist gedeckt. Es gibt leckeres Weißbrot, Butter, rote und gelbe Marmelade, heißen Kaffee und warme Milch. Na also, geht doch! Man wird echt bescheiden. Meine Begeisterung ist sehr groß und ich greife mehrmals zu. Wir unterhalten uns darüber, wie und wo der Camino heute verläuft. Zunächst müssen wir weiter den Berg erklimmen, bis auf 1430 Meter über dem Meeresspiegel. Der Weg ist die nächsten sechs Kilometer zwar geteert, wird aber
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