5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
Kursteilnehmerinnen meine besten Freunde vor Ort geworden. Im Laufe der Zeit waren die Mauern zwischen Lehrerin und Schülern oder Angestellter und Gefangenen eingestürzt. Der Kurs war einfach ein Ort, an dem eine Gruppe von Frauen Musik machte. Ich spürte, dass die Gefängnisinsassinnen und mich gar nicht so viel trennte, und manchmal hätte ich ohne Weiteres eine von ihnen sein können. So fühlte es sich manchmal jedenfalls an. Natürlich gab es Momente, in denen ich das nicht unbedingt so empfand. Ich hatte kein Verbrechen begangen, das mich hierhergebracht hatte, aber zwischen uns bestand immer eine gewisse Nähe. Wir waren Frauen, die durch gemeinsam erlebte Aufrichtigkeit eine Verbindung entwickelt hatten. Außerdem beeinflussten mich meine eigene Zerbrechlichkeit und meine schmerzhafte Vergangenheit in gewisser Hinsicht immer noch, wenn auch bei Weitem nicht mehr so stark wie früher. Das verstärkte die Verbindung zu meinen Schülerinnen vielleicht noch mehr, denn ihre Vergangenheit war auch voller Schmerz, verschiedenster Arten von Misshandlungen und einem daraus resultierenden geringen Selbstwertgefühl.
Als ich zum ersten Mal das Gefängnis betrat, erklärte man mir, wie ich Fragen zu meinem persönlichen Leben ausweichen sollte. Ich erzählte den Frauen zwar nie, wo ich wohnte, aber statt in irgendeine vage Richtung zu deuten oder zu lügen, hatte ich offen erwidert, dass ich das nicht sagen konnte. Die Frauen respektierten das, weil wir bereits ein Vertrauensverhältnis hatten, und wenn möglich beantwortete ich ihre Fragen. Nach all den grundehrlichen Gesprächen mit meinen sterbenden Patienten genoss ich es jetzt viel mehr, offen zu sein. Die emotionalen Mauern der Privatsphäre blockieren die Güte zu sehr. Wahrheit bringt die Menschen einander näher. Wenn die Frauen mir Fragen zu meiner Vergangenheit stellten, antwortete ich aufrichtig und erklärte ihnen, was ich mir dummerweise alles hatte gefallen lassen und was ich zu lange geglaubt hatte.
Die Freundlichkeit dieser Frauen– die Einzelpersonen ebenso wie die Gruppe insgesamt– weckte etwas in mir, was sehr lange geschlafen hatte. Ich wusste nicht, wie ich mit Freundlichkeit umgehen sollte. Ich wusste, wie man zu anderen nett ist, aber nicht, was ich tun sollte, wenn andere es zu mir waren. Entsprechend war ich überwältigt, als ich ihre Liebe und ihr ehrliches Verständnis für meinen Schmerz spürte. Diese Frauen waren wirklich unglaublich nett und wunderbar. Sie alle hatten gelitten, und viele von ihnen vermissten ihre Kinder und Familien ganz schrecklich. Trotzdem waren ihre Herzen so freundlich. Sie mochten Fehler gemacht haben und dafür im Gefängnis gelandet sein, aber nur wenige unter ihnen bereuten ihre Taten gar nicht, und ich habe keine gesehen, die nicht ein gutes, liebevolles Herz gehabt hätte.
Die Fördergelder waren langsam aufgebraucht, und nach fast einem Jahr im Gefängnis wurde mir klar, dass mich nicht die Pflege sterbender Menschen nahe an den Burnout gebracht hatte, sondern das Leben selbst. Um mich herum herrschte einfach zu viel Traurigkeit. Als ein paar meiner engeren Freunde von Tragödien heimgesucht wurden und ich für sie da zu sein versuchte, wurde das Leben noch schwerer. Nachdem ich in der ersten Runde gesehen hatte, wie mühsam es ist, Fördergelder zu bekommen, war ich nicht sicher, ob ich die Energie aufbringen konnte, das Ganze ein zweites Mal durchzuziehen. Als ich in der Nacht einschlief und zuhörte, wie meine Nachbarn sich ein Schreiduell lieferten, war meine Entscheidung gefallen. Es wurde Zeit, aufs Land zurückzukehren. Im Moment hatte ich alles getan, was ich tun konnte.
Die meisten meiner Schülerinnen waren inzwischen wieder auf freiem Fuß oder standen kurz vor der Entlassung, und dadurch fühlte ich mich auch ein bisschen freier. Ich hätte einfach weder die Klarheit noch die Energie aufbringen können, eine neue Gruppe zu unterrichten. Es wurde Zeit, dass ich lernte, mich um mich selbst zu kümmern. Also reichte ich bei der Gefängnisleitung und bei meinem Vermieter die Kündigung ein und begann neue Pläne zu schmieden.
Meine Eltern wurden langsam alt. Mama und ich hatten immer noch eine wundervoll enge Freundschaft, und ich freute mich auch über das gute Verhältnis zu meinem Vater. Deshalb wollte ich näher bei ihnen sein, damit ich nicht mehr als ein paar Stunden Fahrzeit hatte, wenn sie mich brauchten (für einen Australier ist so etwas keine nennenswerte Entfernung). Außerdem
Weitere Kostenlose Bücher