5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen: Einsichten, die Ihr Leben verändern werden (German Edition)
Situationen zu bringen. Andererseits war es eine Art Sucht. Ich stellte mich jedes Mal von Neuem meinen Ängsten, und irgendwie fiel ich stets wieder auf die Füße. In gewisser Hinsicht wurde es von Mal zu Mal schwerer, mich mit so viel Zuversicht in die Situation zu stürzen, weil immer schlimmere Ängste in mir aufstiegen. Zugleich wurde es auch einfacher. Ich hatte meine Zuversicht schon mehr als einmal bis an die äußerste Grenze strapaziert und war hinterher nicht nur klüger, sondern glaubte auch fester an mich selbst. Das Leben schien mir sinnvoller, so wie ich es lebte, ganz egal, wie hart es manchmal war. Ich passte damit nur einfach nicht in eine konventionelle Gesellschaft.
An diesem Punkt befand ich mich also, als ich der beginnenden Ebbe zusah, und mir vor Augen hielt, wie wichtig es ist, sich dem Lauf der Dinge hinzugeben, loszulassen und der Natur zu gestatten, ihre Magie zu entfalten. Dieselbe Kraft, die die Gezeiten lenkt, die Kraft, die die Jahreszeiten kommen und gehen lässt und Leben schafft, würde sicher auch in der Lage sein, mir die Chance in die Hände zu spielen, die ich brauchte. Aber erst musste ich loslassen. Es war eine schreckliche Verschwendung meiner Energie, wenn ich versuchte, Zeitpunkt und Ergebnis selbst zu bestimmen. Ich hatte meine Pläne gemacht und alles Nötige unternommen. Jetzt war es an der Zeit, dass ich einen Schritt zurücktrat und das Leben machen ließ.
Ich musste leise über mich selbst lachen, als es mir wieder einfiel. Dabei hatte ich diese Lektion schon früher gelernt. Wenn ich am äußersten Ende eines dünnen Zweiges angekommen war, konnte ich mich nur noch meinem Schicksal überlassen und abwarten, wo ich landete. Es war höchste Zeit loszulassen.
Loslassen ist nicht dasselbe wie Aufgeben, ganz im Gegenteil. Loslassen erfordert eine gehörige Portion Mut. Oft gelingt es uns nur, wenn es zu schmerzhaft wird, um irgendein bestimmtes Ergebnis zu kämpfen. Tatsächlich ist es wie eine Befreiung, an diesen Punkt zu kommen, auch wenn es nicht gerade Spaß macht. Sobald man akzeptieren kann, dass man selbst nichts mehr tun kann und die Dinge einer höheren Macht in die Hände geben muss, wirkt diese innere Haltung wie ein Katalysator, und alles kommt ins Rollen.
Auch am nächsten Morgen ging ich hinunter zu den Klippen ans Wasser, wo mich bei Sonnenaufgang wieder die spielenden Delfine begrüßten. Ich fühlte mich völlig leer und ausgelaugt nach diesen ganzen Attacken von Angst, Schmerz und Widerstand, die letztlich zum Loslassen geführt hatten. Die emotionale Erschöpfung hatte mich enorm viel Kraft gekostet. Doch während ich den Delfinen zusah und die Morgendämmerung auf mich wirken ließ, gestattete ich mir langsam, aber sicher, wieder Hoffnung zu schöpfen.
Als ich wenige Tage später mit ein paar Urlaubern auf dem Campingplatz ein ganz harmloses Gespräch führte, bot man mir einen Job in Melbourne an, ungefähr sieben Stunden Fahrt Richtung Süden. »Warum nicht?«, dachte ich. Ich konnte gehen, wohin ich wollte, und ich hatte sowieso vor, in eine etwas kühlere Klimazone zu ziehen. Melbourne wurde bald meine Lieblingsstadt in Australien, und das ist sie bis heute. Aber damals hatte ich sie noch nicht in Betracht gezogen, und ich ahnte nicht, wie sehr ich vom Leben in dieser kreativen Stadt profitieren würde. Erst als ich losließ und gedanklich ganz in der Gegenwart blieb, konnte mir diese Chance über den Weg laufen.
Nachdem ich Stella meine Geschichte zu Ende erzählt hatte, lächelten wir beide. Sie aß ihre halbe Erdbeere und stimmte mir zu, ohne sich dabei von ihrem Ego leiten zu lassen. Sie hatte versucht, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen. Es wurde Zeit, dass sie die Zügel aus der Hand gab, und auch wenn ihr der Gedanke nicht sonderlich gefiel, fand sie sich damit ab, dass es vielleicht noch ein bisschen dauern würde, bis ihre Zeit kam. Der menschliche Körper wird in neun Monaten gebildet. Manchmal braucht es auch eine Weile, bis er seine Funktionen einstellen kann.
Allerdings war sie inzwischen sehr schwach und aß kaum noch etwas. Ihr fehlte die Energie zum Essen, doch immerhin nahm sie ab und zu ein kleines Stückchen Obst zu sich, einfach um etwas zu schmecken. Am Vortag waren es zwei Trauben gewesen. Heute war es eine halbe Erdbeere.
Ihre Krankheit hätte ihr eigentlich viele Schmerzen verursachen müssen, vor allem weil sie erst in so fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert worden war. Aber sie hatte sehr wenig
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