5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Ich sollte seine Handinnenflächen sehen, und sie offenbarten mir, was ich gefürchtet und doch nicht geglaubt hatte: schwarze Lebenslinien. Das Zeichen der Verdammten.
»Ich habe sie belauscht, und als ich geflohen bin, hat einer von ihnen mich erwischt. Grace, es tut mir leid. Ich … Ich musste euch doch die Information bringen, dass sie euch angreifen werden. Ich hätte euch doch nicht schutzlos … schutzlos hierlassen können …«
Dann kam er, der Satz, den ich ihm in meiner Fantasie immer wieder an den Kopf geworfen hatte: » WEISST DU EIGENTLICH , WAS DU ANGERICHTET HAST ?«
Nun hob er den Kopf gen Himmel und schloss die Augen. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Ja. Ja, Gracy, das weiß ich. Ich habe einen Engel getötet.«
3
Grace
London, das Institut
Mit diesem einen Satz erreichte Matt nicht weniger als den Ausbruch der Hölle im Institut. Die Seelenfänger brüllten wild durcheinander, denn allen war bewusst, was es für Konsequenzen haben würde, wenn wir einem Engelsmörder Zuflucht gewährten. Die Engel würden Matt früher oder später ausfindig machen und das Institut und ganz London dem Erdboden gleichmachen, wenn es ihnen gefiel.
Die gefallenen Engel hingegen starrten sich nur gegenseitig an und selbst Cassriel hielt den Mund. Ihnen behagte es gar nicht, dass die Engel gegen uns vorgehen wollten, nur weil wir mit ihnen paktierten. Natürlich hatten die Gefallenen wegen uns kein schlechtes Gewissen, aber ihnen war nur allzu bewusst, dass ein Eklat zwischen Engeln und Fängern sich auf der Wir-haben-uns-gebessert- Liste nicht sonderlich gut machen würde. Ruhe bewahren! Leider ging ich selbst – sonst so strukturiert und voller Kalkül – keineswegs mit gutem Beispiel voran, sondern musste erst einmal ein paar Mal tief durchatmen, um Matt nicht eigenhändig am Fahnenmast aufzuhängen, damit die Engel auch ja sahen, wie wir zu ihm standen.
»Legt ihm Handschellen an«, blaffte ich die Security an und deutete dann in Richtung Fahrstuhl. Ich folgte ihnen und rief nach Liza, Kelly und, weil der Zweck nun mal die Mittel heiligt, nach Cassriel. Kelly und Cass hielten kaum Schritt mit uns, während Liza wie immer einen halben Meter hinter mir ging.
»Liza, sorg dafür, dass hier nicht das totale Chaos ausbricht. Beruhig sie und sag ihnen, sie sollen in ihre Quartiere gehen, während ich den Gefangenen befrage. Es folgt eine offizielle Ankündigung, was wir als Nächstes tun.«
Liza nickte und begann sofort, meinem Befehl Folge zu leisten.
»Cassriel, dasselbe gilt auch für dich und deine Gefallenen. Und ich wünsche heute keine weiteren deiner Art mehr im Institut zu Gesicht zu bekommen. Das würde nur in Streit ausarten.«
»Zu Befehl«, raunte er und verneigte sich, ehe er ein Stück vom Boden abhob.
»Kelly, wenn die zweite Schicht heimkommt, schickst du sie bitte umgehend in ihre Quartiere, nachdem sie die Beute abgeliefert haben. Je weniger sie wissen, desto besser. Sie sollen ebenfalls auf weitere Instruktionen warten.«
»Wird gemacht.«
Ich atmete noch einmal tief durch und folgte der Security, die Matt flankierte, in den Fahrstuhl. Wäre der Aufzug nicht aus Glas gewesen, hätte ich mich wohl auf dem roten Sofa zusammengerollt und einfach nur gehofft, dass die Welt wieder in Ordnung wäre, wenn ich die Augen das nächste Mal öffnete. Aber so blieb ich würdevoll und mit möglichst großem Abstand zu Matt stehen und wartete, bis wir im zwölften Stock angekommen waren, wo ich die Security anwies, Matt in mein Büro zu bringen und dann die Lage unten zu klären.
Stress konnte ich schon immer besser bewältigen, wenn ich ihn nicht sah.
Nein, jetzt war nicht die Zeit für Selbstmitleid, und so gerne ich auch alles auf Matt geschoben hätte, konnte er doch nichts dafür, dass die Engel gegen uns vorgehen wollten. ABER ER HATTE EINEN ENGEL GETÖTET !
»Setz dich«, murmelte ich, inzwischen heiser.
»Wieso warnst du uns?«, fragte ich, als er Platz genommen hatte (und es sah sehr ergötzlich aus, wie ein gefesselter Mann, der kaum über seine breiten Schultern schauen konnte, versuchte, sich auf einen Drehstuhl zu setzen).
Obwohl mir Alkohol bei der Arbeit sonst zuwider war, holte ich eine Flasche Wein aus der Vitrine und goss mir ein Glas ein.
»Du glaubst mir«, sagte er und wirkte in diesem Moment sehr müde und sehr, sehr alt.
»Stimmt. Wieso glaube ich dir eigentlich?«, stieß ich hervor und massierte meine Schläfen. Es konnte doch auch sein, dass diese
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