5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Ihm war egal, was sie zu sagen hatte, er musste Grace suchen. Er setzte sich in Bewegung.
»Matthew, warte!«, rief Liza ihm nach. Gerade schaffte sie es noch, ihm hinterherzurennen, ehe sich die gläserne Tür schloss.
»Ich gehe ohne dich! Ich muss sie finden, Liza. Ich habe keine Zeit für deinen lästigen Papierkram, diesmal nicht!«
Ehe er wusste, wie ihm geschah, hatte sie ausgeholt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Überrascht blieb er wie angewurzelt stehen und starrte sie entgeistert an.
»Ich will genauso wenig wie du, dass Grace etwas passiert! Sie ist meine beste Freundin! Sie ist eine großartige Person, und ich war schon für sie da, als du es nicht warst , also wirst du mir jetzt zuhören, verdammt! Was denkst du dir bloß? Du würdest nicht mal lebend aus dem Institut herauskommen. Es ist mitten in der Nacht, und es wimmelt nur so von Fängern. Die werden denken, ich paktiere mit dir! Wo willst du anfangen, Grace zu suchen? Du hilfst ihr nicht, du machst alles nur noch schlimmer!« Außer Atem starrte die kleine Kämpferin ihn an. Ihre Wangen waren puterrot, und ihr Brustkorb bewegte sich rasch auf und ab.
»Und was schlägst du vor?« Aufgebracht wandte er sich von ihr ab. Er hasste es, so machtlos zu sein.
»Die Funkgeräte haben integrierte Peilsender, durch die wir uns gegenseitig orten können. Sobald ich Grace ausfindig gemacht habe, können wir aufbrechen.«
»Ausgeschlossen.« Er würde Liza nicht in die Sache mit hineinziehen.
»Willst du nun die Koordinaten oder nicht?«, gab Liza wütend zurück. »Versuch wenigstens, mir zu vertrauen.«
Versuch wenigstens, mir zu vertrauen ? Hatte er das nicht erst vor wenigen Stunden zu Grace gesagt?
»Das ist gut«, antwortete er langsam, als sich eine Idee in seinem Kopf zu formen begann. »Du wirst mit mir fahren, nur du.«
»Und dann befreien wir Grace.« Liza nickte und machte sich bereits an dem kleinen Sender zu schaffen.
»Nein, dann lieferst du mich aus.« Er lachte humorlos. Liza zog eine Augenbraue hoch.
»Genau das ist es, was sie von dir erwarten, Liza. Und das ist die einzige Möglichkeit, mich um diese Uhrzeit in einem Stück und ohne dumme Fragen aus dem Institut hinauszuschaffen. Du lieferst mich aus. Und dann retten wir Grace.«
17
Matthew
London, eine Straße
»Liza, fahr verdammt noch mal schneller.« Die Ungeduld ließ ihn fast durchdrehen und immer wieder auf den kleinen Sender schauen, den Liza am Navigationssystem befestigt hatte. Unruhig sicherte und entsicherte er die Pistole in seiner Hand.
»Hör endlich auf!«, brüllte Liza, die Hände fest um das Lenkrad geklammert. Sie hatte das Gaspedal bis zum Anschlag durchgetreten und fuhr bereits im absoluten Grenzbereich dessen, was der edle Sportwagen des Instituts leisten konnte. Der Schneeregen hatte wieder eingesetzt, und die Reifen fanden auf der rutschigen Straße kaum Halt. Matts Gedanken überschlugen sich unterdessen schneller, als das Auto es tun würde, falls Liza die Spur verlor, was ihrem Fahrstil nach zu urteilen nur eine Frage der Zeit war. Verdammt, was hätte er darum gegeben, hinterm Steuer zu sitzen , doch einen Gefangenen ließ man nicht fahren und er musste seine Rolle gut spielen.
Der Schnee wich unterdessen Hagel, der so unerbittlich gegen die Scheiben hämmerte, als wolle er sie auf eine Schießerei einstimmen, und Matt hatte das Gefühl, dass die monotonen Geräusche mehr und mehr zu Worten anschwollen. Zu spät. Zu spät. Versager. Versager, schrie der Hagel. Gracy, sagte das Klacken der Pistole. Zu spät. Versager. Gracy. Versager. Gracy. Gracy. Gracy. Er nahm die Anzeige des Navigationssystems nicht wahr, auf die er sekündlich starrte. Da war nur noch sie. Wie sie lachte. Versager . Gracy auf Oscars Schoß. Gracy, wie sie Bilder von Einhörnern und Drachen malte. Zu spät. Gracy, weinend im Trainingsraum, weil sie ein schlechtes Ergebnis erzielt hatte. Gracy im Bikini im Pool des Instituts. Versager. Gracy mit ihren Prüfungsergebnissen, lauter Einsen. Gracy, wie sie sich nachts sein T-Shirt stahl, weil sie zu müde war, um ihre eigenen Klamotten in dem riesigen Bett zu suchen. Versager. Gracy bei ihrem Wiedersehen. Gracy auf der Parkbank im Regen. Gracy in der Bar. Gracy, kurz bevor sie ihm den Brief vor die Füße geworfen hatte. Zu spät?
»Ich bin gekommen, um den Gefangenen Matthew Delaware gegen unsere Leiterin Grace Darcy auszutauschen.«
Liza spielte ihre Rolle gut. Ihre Stimme war emotionslos und kühl, während sie Matt vor
Weitere Kostenlose Bücher