5 Tage im Sommer
man heute kaum mehr sah: Kirschrot, Swimmingpoolblau, Sahnegelb, Bronze, Minzgrün oder Schwarz-Weiß wie ein Oreo-Keks. Ganz abgesehen von einem schicken 1947er Ford in Lachskoralle. Er stand ganz unschuldig inmitten der anderen Autos, aber er hatte bestimmt etwas zu erzählen. Wie die anderen letztlich auch, dachte Amy.
Am Ende des Ausstellungsplatzes stand ein mit weißen Schindeln gedecktes Bürohäuschen. Snow konnte sich nicht von den Autos losreißen, daher ging Amy allein in das Büro. Sie wurde von einer Frau in den Vierzigern begrüßt, deren Lippenstift dem kirschroten Chevy heftige Konkurrenz machte.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Amy zog ihre Dienstmarke hervor. »Ich hätte gerne ein paar Informationen zu einem Ihrer Wagen.«
»Sie wollen also nicht kaufen.« Die Frau seufzte.
»Tut mir Leid.«
»Zu welchem Wagen denn?«
»Der rosa Oldtimer da, ein 1947er Ford?«
»Ja, ein Schmuckstück.«
»Sind Sie hier die Besitzerin?«
»Seine Ehefrau. Sal hatte den Tick mit diesen Autos schon, bevor ich ihn kennen lernte. Ich war Lehrerin, und jetzt kümmere ich mich um unser Büro.«
Ein gerahmtes Foto auf dem Schreibtisch zeigte Mister und Mrs. Ragnatelli in inniger Umarmung auf einem Sofa. Der Mann hatte enorme Ausmaße und wog mindestens einhundertfünfzig Kilo.
»Ist dieser Wagen in jüngster Zeit gefahren worden?«
»Gestern erst.«
»Und von wem, Mrs. Ragnatelli?«
»Ich weiß den Namen nicht, ich war gestern Nachmittag nicht hier. Sal hat gesagt, ein Mann hätte ihn zur Probe gefahren und später zurückgebracht.«
»Ist es normal, dass Sie Interessenten mit den Wagen wegfahren lassen?«
»Sicher. Man muss sie zum Kauf verführen. Die Leute fahren gern allein in einem Wagen, um das richtige Gefühl dafür zu bekommen. Es ist vielleicht ein Risiko, aber bis jetzt ist uns noch keiner gestohlen worden. Wir lassen uns immer eine Kreditkarte geben, und dafür ist bisher noch jeder zurückgekommen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen.« Durch das kleine Fenster des Büros konnte Amy sehen, dass Snow auf dem Fahrersitz eines minzgrünen Ford saß, dessen Vorderteil sie an die Schnauze eines Pavians erinnerte. »Heben Sie Kopien der Kreditkarten auf?«
»Das sollten wir vielleicht mal tun. Ich sag Ihnen was, Sal ist heute unterwegs, oben in Fall River ist eine Oldtimer-Ausstellung. Sie könnten ihn anbeepen, und er ruft Sie dann zurück. Sagen Sie ihm, Sie hätten mit Vera gesprochen.« Sie schrieb die Nummer ihres Mannes auf die Rückseite einer Visitenkarte und reichte sie Amy.
»Danke.« Amy ließ die Karte in ihre Tasche gleiten. »Nach dem Labor Day ist hier nicht mehr viel los, oder?«
»Normalerweise schon, aber es ist insgesamt ein flauer Sommer gewesen. Unsere Branche leidet als Erstes, wenn es wirtschaftlich bergab geht.«
Snow hatte sich anscheinend in den grünen 1940er Ford verguckt und konnte sich nicht davon trennen. Amy sah sich das Innere des rosa Oldtimers an, warf einen Blick unter die Motorhaube und überprüfte den Kofferraum. Alles sah vollkommen normal aus. Snow war inzwischen ins Büro gegangen, um bei Vera den Preis seines grünen Fords zu erfragen. Schließlich kam er heraus, und während des gesamten Rückweges zur Wache lag ein Leuchten auf seinem Gesicht.
Er fuhr auf seinen gewohnten Parkplatz hinter dem Gebäude und lächelte Amy versonnen an. Die Lücke zwischen seinen beiden Vorderzähnen war deutlich zu erkennen, und für einen kurzen Moment fand sie, dass er auf die leicht traurige Weise eines zu groß geratenen Kindes fast niedlich aussah.
»Warum kaufen Sie sich den Wagen nicht, Al?«
»Ich kann mich gut drin sitzen sehen.« Er lachte leise. »An einem Sommerabend übers Cape fahren, Picknick am Strand, ein Glas Wein mit einer netten Dame.«
Amy wollte ihm gerade raten, sich bei einer Partnervermittlung anzumelden, als seine Hand plötzlich auf ihrem Schenkel landete.
»Sie machen wohl Witze!« Sie stieß die Tür auf, stieg, so schnell sie konnte, aus und streckte den Kopf zum offenen Fenster hinein. »Was zum Teufel denken Sie sich, Al?«
»Vergessen Sie’s.« Er sah sie nicht an, ließ den Motor aufheulen und fuhr so schnell davon, dass sie kaum zurücktreten konnte.
Amy ging direkt an ihren Schreibtisch und versuchte sich zu beruhigen. Snow war nicht der Erste, der zudringlich geworden war, und sie wusste, dass er auch nicht der Letzte sein würde. Doch ausgerechnet Snow … Es warf ein schlechtes Licht auf seine Intuition, dass er meinte, Signale
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