5 Tage im Sommer
als sei er in ebendiese Pfütze hineingetreten. Vor sich hatte er einen offenen Plastikbehälter, der flach genug war, um unters Bett zu passen.
Amy sah es sofort. Hunderte Fotos von Kindern. In Alltagskleidung, kostümiert, halb nackt, nackt. Jedes der Kinder sah verschreckt aus. Weinte. Gesichter, durch deren versteinerte Miene die Angst hindurchschien. Fest zusammengekniffene Augen. Starr aufgerissene Augen. Körper in kerzengerader Haltung wie Soldaten, den Atem angehalten. Verdrehte Körper, in brennendem Schmerz gefangen.
»Lauter verlorene Kinder«, flüsterte sie. »Auf jedem Foto.«
Geary schüttelte den Kopf und sagte nichts.
Im Wohnzimmer breitete sich Unruhe aus.
»Markieren Sie es«, trug sie Partow auf.
»Wir nehmen das mit.«
Im Wohnzimmer hatte Officer Petersen die kleinen Kästen vom Bücherregal genommen und sie geöffnet. Sie enthielten Videokassetten. Eine davon hatte Officer Shechter in den Videorecorder geschoben. Es lief ein Snuff-Film mit dem traurigsten kleinen Jungen, den Amy in ihrem Leben gesehen hatte. Shechters Augen waren feucht, seine Lippen fest zusammengepresst in Abwehr einer Reaktion, die er nicht offen zeigen wollte.
»O mein Gott.« Amy blieb stehen. »Sind da noch mehr?«
Petersen nickte langsam.
»Wir nehmen sie alle mit. Wir sehen uns jeden Zentimeter dieser Filme an, und wenn wir ihn finden, ist er weg vom Fenster.«
In ihr tobte die Wut auf diesen Unhold, der sich an der Zerstörung von Kindern aufgeilen konnte. Sie holte tief Luft. Sie musste sich jetzt zusammennehmen, um das hier gut zu Ende zu bringen.
Amy zog ihr Handy aus der Handtasche und rief die Einsatzzentrale an. »Funken Sie Caruso und Miles an. Sagen Sie ihnen, er ist unser Mann, aber sie sollen ihn vorerst weiter verfolgen. Dicht dranbleiben, und wenn sie meinen, er führt sie zu Mrs. Parker, sollen sie Unterstützung anfordern.« Während sie telefonierte, zeigte das Video die Großaufnahme eines schreienden Kindes, auf das die Kamera langsam zufuhr.
»Stellen Sie das ab«, sagte Geary.
Amy spürte, wie das Blut durch ihre Muskeln raste und wie der Druck hinter ihren Augen zunahm. »Markieren Sie alles«, ordnete sie an, »und suchen Sie weiter.«
»Sie leisten gute Arbeit.« Geary zog die Schultern hoch und trat zu ihr. Ein wenig väterlich, dachte sie, aber seine schützende Geste hatte eine beruhigende Wirkung.
»Wenn das hier gute Arbeit ist …« Sie wurde von dem Klingeln ihres Handys unterbrochen.
»Detective Cardoza?« Die Stimme der Frau klang voll und warm. »Sie baten um einen Rückruf. Mein Name ist Sally Harmon.«
»Ja, Ms. Harmon.«
Gearys Augenbrauen gingen fragend nach oben. Amy hob ihr Kinn in Richtung Tür, und er nickte. Er würde drinnen bleiben und alles überwachen, während sie draußen telefonierte.
Hinaus in die Sonne zu gehen, an die frische Luft und in den sandigen Wind, war eine Erlösung nach der Düsternis, die von all diesem Weiß ausgegangen war. Ihr langes Haar wehte ihr ins Gesicht, und sie wandte sich vom Ozean ab.
»Sie wollten mich wegen Bobby Robertson sprechen?«
»Ihr Schutzbefohlener steckt in ernsten Schwierigkeiten, Ms. Harmon.«
Pause.
»Weswegen denn?«
Für Amy klang das ein wenig rhetorisch.
»Sie sind seine Betreuerin?«, fragte sie Harmon.
»Ja schon, seit drei Jahren. Seine Rehabilitation macht gute Fortschritte …«
»Ich bin gerade in seinem Haus«, sagte Amy, »und kann Ihnen da leider nicht zustimmen.«
Fünfzehn Minuten später, als die Officer noch immer mit der Durchsuchung des Hauses, des Dachbodens und des Kellers beschäftigt waren und die Sammlung von Kinderpornographie hinaustrugen, um sie in den Kofferräumen ihrer Wagen zu verstauen, bremste ein hellblauer Hyundai vor dem Haus Squaw’s Lane 2. Die Tür ging auf, und heraus stieg eine Frau mit gebleichtem blondem Haar, rosa Lippenstift und blauem Lidschatten. Ihre Augenbrauen hatte sie mit braunem Stift nach oben gezogen. Sie wirkte besorgt, aber als sie Amy sah, brachte sie ein Lächeln zustande.
»Sally Harmon.« Sie schüttelte Amys Hand, und dabei klimperte ein goldenes Armband mit Glücksbringern an ihrem Gelenk.
»Detective Amy Cardoza«, stellte Amy sich selbst vor. »Das hier ist Doktor John Geary, mein Partner.«
Geary sah sie kurz an und schmunzelte, halb überrascht, halb dankbar. Sie hoffte, dass die Entscheidung, ihm zu vertrauen, sich nicht als Fehler erweisen würde.
Sally drehte sich dem Strand zu. »Bobby hat wirklich eine herrliche Aussicht.«
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