5 Tage im Sommer
Lassen Sie mich raten. Das da ist eine Corvette?«
Bell schmunzelte und wartete darauf, dass Grandma weiterriet.
»Aus den späten Fünfzigern. Ich schätze mal, sechsundfünfzig, siebenundfünfzig, achtundfünfzig?«
»Es ist eine 57er Corvette, Modell 283.« Bell nickte entschieden. »Ich habe sie erst diese Woche gekauft. Auf der anderen Seite der Brücke in Fall River war eine Show. So schwer es dem Verkäufer gefallen ist, sich von dem guten Stück zu trennen, so leicht ist es mir gefallen, damit davonzufahren.« Er lachte unvermittelt und scheppernd, als würde eine Hand voll Münzen auf einen Fliesenboden fallen.
»Sind Sie Sammler?«
»Ich überlege es mir gerade. Bald gehe ich nämlich in den Ruhestand, und da werde ich etwas brauchen, um meine Zeit auszufüllen.«
»Warum nicht«, erwiderte Sarah. »Wenn Sie es sich leisten können. Jonah hat sehr viel Freude an seinen Autos gehabt, wenngleich ich es nie geduldet habe, dass er gleichzeitig mehrere besitzt. Er behielt es immer ein Jahr lang und verkaufte es schließlich, um ein anderes zu erstehen. Ich glaube, mit Autos zu handeln gefiel ihm fast noch besser, als sie zu besitzen.«
Der Doktor sah hinüber zu David und Sam. Er schmunzelte und ging auf sie zu.
»Wollt ihr beiden mal einsteigen?«
David zuckte die Achseln, aber Sam war sofort Feuer und Flamme. Er rutschte auf den Fahrersitz und ließ den Beifahrersitz für David frei. Das war nicht fair, denn David war ja älter, aber wenn er so lange zögerte … Sie saßen im Wagen und taten so, als würden sie gemeinsam ein Rennen um den Grand Prix fahren.
»Jungs.« Grandmas Stimme holte sie aus dem Rennfahrertraum in die Wirklichkeit zurück. »Ich zeige Dr. Bell, wo die Toilette ist. Ich bin gleich wieder da.«
Die Erwachsenen gingen nach drinnen, und David sah seine Chance.
»Komm.« Er stieg aus dem Wagen. »Schlag die Tür nicht zu, sei leise.«
»Wieso?«
»Kommst du jetzt?«
Sam stieg aus und schloss leise die Tür.
David lief die Auffahrt hinunter, vorbei an den Gärten seiner Großmutter in Richtung der Hauptstraße.
»Ich glaube nicht, dass wir das Haus verlassen dürfen«, sagte Sam, der hinter seinem großen Bruder hertrottete.
»Das ist egal«, sagte David. »Wir haben keine andere Wahl.«
Sobald sie außer Sichtweise des Hauses waren, fing David an zu rennen. Der Schotterweg war lang und schmal und auf beiden Seiten dicht von Bäumen gesäumt, die fast den gesamten Blick auf den Himmel nahmen. Das Sonnenlicht glitzerte durch die Blätter. Alle in der Familie liebten diese verzauberte Straße, und wenn ihre Mutter am Steuer saß, dann verlangsamte sie die Fahrt, damit sie sich im kühlen grünen Licht treiben lassen konnten.
KAPITEL 22
A my Cardoza saß allein am Computer und brachte ihre Aufzeichnungen auf den letzten Stand. Sie nahm einen kleinen Schluck von ihrem kalten Kaffee. Die bittere Brühe schmeckte furchtbar, aber sie zwang sich, sie zu trinken. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen und brauchte jetzt das Koffein.
Sie tippte einen Absatz über die gestrige Pressekonferenz ein, die ihr in der Erinnerung vorkam wie ein böser Traum: Wie sie mit ausdruckslosem Gesicht neben Sorensen, Kaminer und Geary vor der Polizeiwache gestanden hatte; wie ihre müden Augen von den TV-Scheinwerfern geblendet worden waren; wie sie kurz das Gefühl hatte, keine Luft zu bekommen; wie sie sich bemüht hatte, jeden Ausdruck aus ihrem Gesicht zu tilgen, während Chief Kaminer die Erklärung, auf die sich geeinigt hatten, in einen Strauß aus Mikrophonen gesprochen hatte:
»Emily Parker ist am Montagnachmittag, dem 3. September, vom Parkplatz eines Supermarkts in Mashpee verschwunden. Der Zeitpunkt und die Umstände ihres Verschwindens deuten darauf hin, dass wir es eventuell mit einem Serientäter zu tun haben.«
»Wie kommen Sie darauf?« Amy erkannte den Reporter, der beim Boston Globe für Verbrechen zuständig war, an seiner markanten Brille. Sie hatte ihn bei einem Fernsehinterview gesehen.
»Dazu können wir im Moment nichts weiter sagen.«
»Haben Sie schon irgendwelche Spuren?«, fragte ein junger Mann von einem Lokalsender aus Rhode Island.
»Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht. Es gibt mehrere Verdächtige, die wir im Moment unter die Lupe nehmen, aber mehr können wir zurzeit nicht sagen.«
»Sind die Opfer in der Vergangenheit lebend aufgefunden worden?« Die Stimme gehörte einer Frau, die Amy unbekannt war.
Kaminer versuchte einen Blick von Sorensen
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