5 Tage Liebe (German Edition)
Seitdem wir in Barcelona sind, habe ich starke Probleme, mich an unsere gemeinsamen Momente zu erinnern. Ich kann jeden Geruch, jeden Geschmack, jedes Geräusch, alles aus Stuttgart sofort in mein Gedächtnis rufen. Wie ein kurzer Teaser für einen Kinofilm spielen sich Szenen in meinem Kopf ab, die wir zusammen erlebt haben. Elke schiebt eine Tasse mit Kaffee und einen Reiseführer über den Tisch.
„Damit du nicht verloren gehst.“
Sie lächelt.
„Ich habe heute ein Vorstellungsgespräch, aber ich lasse dir Alejandros Schlüssel da, wenn das in Ordnung ist.“
„Sicher. Wo ist Maya?“
„Mit Fabian unterwegs. Sie will mit ihm die Stadt erkunden und ihm ihre Lieblingsplätze zeigen. Die beiden müssen einiges aufholen, wie es scheint.“
Ich nicke und nehme den ersten Schluck Kaffee, vielleicht wird der Tag dann besser. Elke gibt mir einen Kuss auf die Stirn, irgendwo auf den Haaransatz, und ist dann zur Tür raus. Mir geht das alles zu schnell. Ich komme nicht so richtig mit. Morgens bin ich ohnehin nicht ganz auf der Höhe, aber mir die Nacht so zu verkürzen und die Gelenkigkeit meiner Knochen so zu strapazieren, um mir dann Informationen an den Kopf zu werfen, für die ich im wachen Zustand schon eine gute Stunde bräuchte – das ist kein guter Einstieg in den Tag. Ich bin erschlagen. Vor allem aber bin ich allein.
Die Wohnung, mag sie noch so klein sein, ist mir fremd. Es ist, wie wenn man mit den Eltern Urlaub in einem anderen Land macht und sich erst mal an die italienischen Steckdosen gewöhnen muss. Oder an die Türklinken in Amerika. An die Währung in England. Hier muss ich mich an all das auf einmal gewöhnen. Und dieses Gefühl erdrückt mich. Ich brauche frische Luft, um wieder klar denken zu können. Also stürze ich den Kaffee herunter, so gut es die Temperatur erlaubt, ziehe mich an, schütte etwas Wasser in mein Gesicht, schnappe mir den Schlüssel und haste die Treppe nach unten, als würde ich ersticken.
Barcelonas Luft empfängt mich wieder mit dem salzigen Geschmack und der Brise der Küstenstädte, aber genau das brauche ich jetzt. Den Reiseführer in der Hand stolpere ich los, laufe einfach geradeaus, egal wohin. Wenn ich angekommen bin, werde ich es wissen, und dann kann ich immer noch auf den Reiseführer zurückgreifen.
Ich bin kein Jogger, kein Sportler, und schon lange außer Form – machen wir uns nichts vor. Aber die Gedanken, die wie ein Uhrwerk in meinem Kopf ticken und ticken, sind eine gute Motivation. Ich spüre nicht, wie viele Straßen ich entlanggehe, ich zähle nicht die Gebäude, die mich immer wieder zu kleinen Pausen des Staunens hinreißen, ich schaue nicht auf die Uhr, ich folge nur meinem Herzen. Darin habe ich in letzter Zeit viel Übung. Ich schalte das Gehirn auf Stand-by und ernenne mein Herz zum Navigationssystem. Egal, wo es mich hinbringt. Und wo hat es mich hingebracht? In die vielleicht aufregendste Stadt Europas. Aber ganz so aufregend, wie ich es mir vorgestellt habe, fühlt es sich jetzt nicht an. Ganz und gar nicht.
Ich will ans Meer. Also schlage ich den Reiseführer auf, nur um erstaunt festzustellen, ich bin schon so gut wie dort. Nur ein paar Straßen und Kreuzungen weiter, schon kann ich es sehen. Ich stehe am Port Olimpic und sehe, wie das Meer den Horizont küsst. Es ist eine halbe Ewigkeit her, dass ich das Meer gesehen habe. Es war 1999 mit Patrick, bei unserer ganz persönlichen Abi-Abschlussfahrt nach Italien. Während ich die meiste Zeit betrunken in der Sonne lag und mir abends in der Ferienwohnung die Seele aus dem Leib kotzte, hing Patrick am Telefon, um mit Melanie zu telefonieren und ihre Kleider- oder (wahlweise) Schuhgröße zu erfragen, zwecks Mitbringsel und so.
Ich laufe die Stufen runter zum Strand und beobachte das Meer. Es sieht so anders aus, als auf den sonnigen Postkarten, die ich manchmal in meinem Briefkasten finde. Es ist weder tiefblau noch klar. Keine badenden Menschen und bunten Schirme. Nur wenige Besucher, vermutlich Touristen wie ich, die sich von der Kälte des Winters nicht abschrecken lassen. Ich hole ganz tief Luft, lasse meine Lungenflügel komplett aufgehen, versuche das erdrückende Gefühl abzuschütteln.
Ich schließe die Augen, höre das Rauschen und lasse los. Ich höre weder auf Kopf noch Herz. Ich stehe nur da und höre dem Meer zu, erhoffe mir eine ozeanische Antwort auf die Frage, die ich nicht stellen mag, vor der ich Angst habe, und die mich nicht mehr loslassen will.
Habe ich einen
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